Das riesige Gebiet der Südsee wird in drei
große Gebiete unterteil: Melanesien, Mikronesien und Polynesien. Dieselbe grobe
Unterteilung findet sich auch in den verschiedenen (traditionellen) religiösen
Vorstellungen wider. Allerdings ist die Differenzierung der einzelnen
Religionen noch viel weiter gediehen. So ist es beinahe so, dass jede kleine
Gruppe, jeder Stamm seine eigene Religion hat, die sich von den Nachbarstämmen
unterscheidet. Dennoch gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Was in der Südsee auffällt, ist das
Fehlen von schriftlichen Aufzeichnungen, von heiligen Büchern, wie wir sie aus
den Hochreligionen Europas und Asiens kennen. Dementsprechend wurden Glaube,
Kulte und Bräuche von Generation zu Generation ausschließlich mündlich
weitergegeben.
Melanesien
Hier finden sich vor allem vielfach
den Glauben an Dämonen, Geister und besondere Orte, denen übernatürliche Kraft
zugesprochen werden. Im Zentrum stehen Schöpfungsmythen und Verehrung von
Naturkräften, hinter denen mächtige übernatürliche Gestalten gesehen werden. In
jährlich stattfindenden Festen wir die Schöpfung der Welt und des Leben
nachvollzogen – dabei soll allerdings nicht einfach einer Schöpfung in der
Vergangenheit gedacht werden, sondern durch das Ritual selbst die Schöpfung
erneuert werden. Nachdem die Seefahrt bei den Bewohnern der Südsee seit jeher
eine herausragende Stellung einnahm, stellte die „Taufe“ eines Bootes stets ein
großes Ereignis dar, welches auch große religiöse Bedeutung hatte, denn den
Schutz vor Schäden durch Stürme und das Meer glaubte man besonders durch
Besänftigung der „Geister“ bewirken.
Wofür Melanesien seit jeher bekannt
war, war die Tatsache, dass hier der Kannibalismus in religiöser Form von
großer Bedeutung war. Dabei ging es darum durch das regelmäßige Opfern von
Menschen für Harmonie in der Ordnung der Welt zu sorgen. Die Begründung dabei
liegt in alten Legenden. Man stellte sich vor, dass ohne Menschenopfer die
natürliche Ordnung der Dinge gestört würde und großes Unglück zu erwarten wäre,
wenn man diese Opferungen unterlassen hätte. Kannibalische Riten wurden aber
auch oft zu Anlässen wie Geburt, Tod, Heirat und dergleichen abgehalten. Meist
überfiel man dabei einen Nachbarstamm, nahm gefangene und tötete sie dann
rituell, um sie dann zu verspeisen. Glücklicherweise wurde der Kannibalismus
durch den europäischen Einfluss seit dem 19. Jahrhundert immer weiter
zurückgedrängt und durch Tieropfer ersetzt.
Polynesien
Melanesien beeinflusste auch in
religiöser Hinsicht Polynesien. Auch die Polynesier opferten Menschen im
Zuge ihrer religiösen Zeremonien, jedoch kam es hier nur selten zu
Kannibalismus, sieht man einmal von den Maori auf Neuseeland ab. Allmählich
scheint sich der Brauch des Menschenopfers, auch ohne den positiven Einfluss
der Europäer, immer mehr verflüchtigt zu haben.
Was die religiöse Organisation der
Polynesier betrifft, so ist es bemerkenswert, dass sie ein religiöses
Zentralheiligtum auf der Insel Raiatea, auf den Gesellschaftsinseln, errichtet
hatten. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man berücksichtigt, dass Polynesien
über Millionen von Quadratkilometern verteilt ist – und aus winzigen Eilanden
in einer unendlichen Wasserwüste besteht. Zu wichtigen Festen, Expeditionen und
dergleichen wurde die auf Raiatea errichtete Pyramide aufgesucht, um dort die
entsprechenden religiösen Zeremonien abzuhalten.
Die drei wichtigsten Götter der
Polynesier waren Rongo, Tane und Tu. Tu war der Kriegsgott, Tane steht für die
Sonne und damit für das männliche Fruchtbarkeitsprinzip. Daneben gab es aber
darüber hinaus ein Pantheon mit vielen Tausend Göttern. Jeder Stamm, jede Insel
hatte ihren eigenen Gott, auch viele Familien und Sippen verfügten über ihre
eigenen Götter. Weiters wurde auch berühmte Helden und Häuptlinge verehrt, von
denen oft Statue aus Holz oder Stein – so genannte „Tiki“ angefertigt wurden
und teilweise größere Verehrung genossen, als die Götter.
Der Begriff „Tabu“ ist einer der
wenigen Worte, die aus dem Polynesischen kommen und auf der ganzen Welt
Bekanntheit und weite Verbreitung genießen. Ein Tabu ist ein Verbot, das mehr
oder weniger strickt eingehalten wird – ausschlaggebend ist die Autorität, die
hinter dem Tabu steht. Allerdings ist ein Tabu nicht nur etwas, das einem
Furcht einflößen soll, bestimmt Orte nicht zu betreten oder Dinge zu tun,
sondern hat einen positiven Aspekt, der durch Ehrfurcht gekennzeichnet ist. So
ist das Besteigen von Vulkanen auf den meisten Inseln ein Tabu – jedoch nicht
primär aufgrund der Gefahr, sondern aufgrund von Ehrfurcht vor dem heiligen
Ort. Neben dem Tabu gibt es den Begriff des „Mana“, das ebenfalls von großer
Bedeutung ist. „Mana“ bedeutet etwa soviel wie „gesegnet“ zu sein, über
besondere Kraft zu verfügen. Jemand, der sich besonders auszeichnet und sehr
erfolgreich ist, hat „Mana“ und genießt deshalb ein hohes Ansehen. Ein
Häuptling, der sich im Kampf auszeichnetet etwa hatte „Mana“ – es ist ähnlich
wie das altgermanischen „Königsheil“ in der europäischen Kultur.
Die
Religionen der Südsee hatten stark integrativen Charakter, wie dies beinahe
immer und überall auf der Welt er Fall ist. Mit dem Zusammenbruch der
traditionellen Religionsvorstellungen brachen auch die meisten Stammeskulturen
zusammen. Erst durch das Christentum konnte der Zusammenhalt von Gesellschaft,
Kultur und Staat wieder erreicht werden.
Euer Sokrates
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