Mittwoch, 31. Oktober 2012

Erfüllung und die Anatomie der Persönlichkeit

In der letzen Woche stieß ich auf der Internet-Plattform Youtube.com im Zuge einiger Recherchen über „großartige Charaktere“, „reife Persönlichkeiten“ und „vollendeter Charaktere“, auf einen zweistündigen Videomitschnitt eines Seminars, das den Titel „The Inner Game“ trug. In diesem Teil des mehrtätigen Seminars ging es darum, was sich im Inneren einer Persönlichkeit abspielt und was einen edlen und vollendeten Charakter ausmacht. Der Beitrag handelte zwar speziell von Dating-Situationen, doch sind die Lehren, die sich daraus ziehen lassen allgemein anwendbar, ungeachtet dessen, um welchen Bereich des Lebens es sich handelt. Die zentrale Person von der die Ideen und Konzepte stammten war ein amerikanischer Psychologe mit dem Namen „Dr. Paul Dobransky“. Seine Website hier aufgerufen werden.

Ich selbst beschäftige mich schon seit geraumer Zeit intensiv mit der menschlichen Persönlichkeit und habe mir im Laufe der Jahre unzählige Aufzeichnungen gemacht, über eigene Erfahrungen, theoretische Modelle, Spekulationen und vielem anderen mehr. Dabei ist mir stets aufgefallen, wie uneinheitlich die verschiedenen Anschauungen zu dem, was der Mensch eigentlich ist, sind. Tatsächlich kann die Wissenschaft uns keine Wahrheiten über irgendeine Sache liefern, ja sie ist nicht einmal in der Lage uns vernünftige Wahrscheinlichkeiten anzugeben. Die Wahrheit über das wahre Wesen des Menschen kann niemals Gegenstand der Wissenschaften, zumindest nicht nach den herkömmlichen Regeln, denen sie sich bisher noch unterworfen hat, sein. Um eben dieses wahre Wesen ausfindig machen zu können, muss man tiefer in die Dinge eindringen und durch direkte Schau in den Urgrund wahre Erkenntnis erlangen. Der weite Bereich, der sich damit beschäftig ist die Metaphysik, die jedoch anders als jener der Philosophie angeschlossene Teil über die Spekulation hinaus zu gehen weiß. Dies ist aber nicht das Thema dieses Artikels.

Um es kurz zu sagen: Das Konzept von Dr. Paul war der fehlende Puzzlestein, dessen ich noch bedurfte, um ein vollständiges Bild der Persönlichkeit, wie auch der gesamten Psychologie, zu bekommen. Damit habe ich ein Modell zur Hand aus dem heraus sich jedes Problem lösen lässt, denn die Anatomie der Persönlichkeit und eines Problems ist genau das gleiche. Wie sieht dieses Modell nun aus? Jede menschliche Persönlichkeit, wie auch jedes Problem das auch nur im Entferntesten denkbar wäre, besteht aus vier und zwar nur aus vier Teilen! Diese sind: 1.) Persönliche Grenzen, 2.) die Kraft Entscheidungen zu fällen, was auch unter freiem Willen bekannt ist, 3.) dem Intellekt und den Ideen und 4.) dem Management der emotionalen Energien. Damit sind alle Bereiche vollständig abgedeckt.

Ad. 1.: Die persönlichen Grenzen eines Menschen geben ihm eine Identität und grenzen ihn gegen die Außenwelt und insbesondere gegen andere Menschen ab. Sie haben eine ähnliche Funktion wie die Grenzen eines Staates. Sie bilden die erste Verteidigungslinie und Eindringlinge oder auch Besucher werden an dieser Grenze kontrolliert. Dass der Mensch jedoch vollständige Grenzen hat, ist ein Ideal, das in der Praxis nur sehr selten anzutreffen ist. Seine Grenzen zu kennen gibt einem Konturen und zeigt der Außenwelt wer man ist. Um die Grenzen klar errichten zu können, ist es wichtig, dass der Mensch seine Werte kennt, dass er weiß was ihm wichtig ist, welche Vorlieben und Abneigungen er hat. Grenzen ermöglichen es einem „Nein“ zu sagen. Menschen mit klaren Grenzen, die diese verteidigen gelten als „starke“ Charaktere, ungeachtet ob wir ihnen zustimmen oder nicht,  denn andere Menschen können nicht in sie eindringen, es sei denn mit Erlaubnis und sie können dieses Recht auch jederzeit wieder verlieren. In einem Menschen mit klaren Grenzen kann ein anderer sich nicht festsetzen. Die meisten jedoch haben Löcher in ihren Grenzen und das sind die Angriffspunkte anderer. Hat jemand zum Beispiel keine Meinung zu einem bestimmten Thema, dann können andere sich seiner bemächtigen und ihn dazu zwingen oder sie dahingehend manipulieren sich ihrer Meinung anzuschließen, sich willfährig zu erweisen Ein gutes Beispiel hierzu ergibt sich etwa in Beziehungen. Wenn einer auf seine Traumfrau oder ihren Traummann stößt und ist die persönliche Grenze nach außen nicht klar gezogen oder wird als solche verteidigt, so hat der Traummann oder die Traumfrau die Macht über den anderen ihn dazu zu bringen, was dieser vielleicht gar nicht wollte. Aus Angst den anderen zu verlieren, sagt jemand dann eher „Ja“, obwohl es ihn im Grunde seines Herzens schmerzt und es nicht gut für ihn ist, da er seine Werte verletzt. Ideale, an denen man anhaftet sind Löcher in den eigenen Grenzen, über die andere oder eine Sache (z.B. politische Meinung, Weltanschauung etc.) Gewalt über einen gewinnen können.

Ad. 2.: Die Kraft Entscheidungen fällen zu können, ist der zweite Aspekt eines starken Charakters, auch bekannt unter dem freien Willen. Das wahre Wesen des Menschen ist ewig und besteht weiter, auch wenn der Körper längst gestorben, das heißt sich in der Welt aufgelöst hat, ist. Im menschlichen Speicherbewusstsein sind alle Samen vorhanden, welche davon kultiviert werden, obliegt der Entscheidung eines jeden einzelnen. Der freie Wille des Menschen entspringt seinem wahren Wesen und überdauert als solcher alle Zeiten. Es ist wichtig dies festzuhalten, nämlich, dass der Mensch wahrhaftig über einen freien Willen verfügt und dieser sich nicht aus seinen eigenen Genen oder gar einer körperlichen Tätigkeit ableitet. Es ist deshalb auch Unsinn davon auszugehen, dass der Wille ein Ergebnis der Hirntätigkeit sei (Materie sei Ursache des Geistes), wäre dem so, könnte nie von einem freien Willen, zumindest im absoluten Sinne gesprochen werden, da dieser dann von den Genen und den Prägungen in diesem Leben (vor allem Erziehung, Milieu etc.) abhängig wäre. In Wahrheit ist der Geist immer Ursache der Materie und niemals dessen Wirkung. Materie jedoch ist niemals eine Ursache für irgendeine Sache, nicht einmal für Materie selbst. Auch dazu ist der Geist als Schöpfer notwenig (etwas, das den Darwinisten inzwischen auch schon bekannt sein sollte, zugeben wollen sie es allerdings bislang noch nicht). Wer nicht das Gefühl hat einen freien Willen zu haben, fühlt sich gefangen, eingeengt, von anderen oder irgendwelchen Mächten beherrscht, sei es Gott, das Schicksal oder von der Vorsehung, wie immer man die Sache auch nennen möchte. Um zu erkennen, dass man über einen freien Willen verfügt, ist es vor allem wichtig achtsam zu sein, seine Bewusstheit zu trainieren. Dies geschieht dadurch, dass man versucht so oft als möglich im Hier und Jetzt zu leben, nur dann ist der Mensch wirklich lebendig. Denken wir an die Vergangenheit oder an die Zukunft, dann befinden wir uns größtenteils auf Autopilot umgestellt. Das einfachste Mittel, um zu erkennen, dass in unserem Leben etwas falsch läuft, muss man nur auf seine Gefühle achten. Ist der Geist nicht durch bewusstseinsbeeinträchtigende Mittel (Alkohol, Drogen, Schokolade, Fernsehen etc.) betäubt, dann sagen einem die Gefühle ganz genau, dass etwas nicht stimmt. Das ist unter anderem der Sinn unserer Gefühle, als Warnblinklampen auf dem Armaturenbrett des Lebens zu dienen. Fühlen wir uns gut, ist das, wie wenn alle Lampen auf grün stehen, fühlen wir uns schlecht, so leuchtet eine oder mehrere Lampen rot auf: Achtung! Wenn wir uns in einer Entscheidungssituation befinden haben wir zuerst die Wahl ob wir eine Entscheidung treffen wollen oder nicht. Entscheiden wir uns nicht, so nimmt unsere Lebensqualität in jedem Fall ab. Treffen wir eine Entscheidung, nimmt diese in jedem Fall zu. Eine Entscheidung kann entweder konstruktiv oder destruktiv sein, aber mit Sicherheit steigt die Qualität des Lebens dadurch. Es gibt also niemals einen vernünftigen Grund keine Entscheidung zu treffen!

Ad. 3.: Der dritte Aspekt ist der Intellekt und die Ideen. Hierher gehört auch die Kreativität, die Fähigkeit spontan Neues hervorzubringen, schöpferisch tätig zu sein. Wenn wir über ausreichend Kenntnisse und/oder Erfahrung verfügen eine Sache im Leben zu bewältigen, dann fühlen wir uns stark und gut. Lernen ist deshalb ein wesentlicher Aspekt einer reifen Persönlichkeit, vor allem die Fähigkeit effektiv lernen zu können ist dabei essentiell. Heutzutage wird in diesem Bereich zu viel Wert auf das Wissen alleine gelegt und zu wenig auf Erfahrung und wahre Erkenntnis der Dinge. Nur, wenn man eine Sache persönlich erfahren hat, beherrscht man sie wirklich, was nur aus Büchern gelernt wurde, ist totes Wissen im Kopf, reine Theorie, die einem nicht die Sicherheit vermittelt, die nur persönliche Erfahrung einem geben kann.

Ad. 4.: Der vierte Punkt hier ist endlich das Management der emotionalen Energie. Eine reife Persönlichkeit erkennt die starke Energie, die hinter Gefühlen steckt und weiß sie zu kanalisieren, um produktiv tätig sein zu können. Dies ist zweifelsohne leichter bei positiven Energien, die ohnehin auf das Leben und das Konstruktive ausgerichtet sind. Probleme bereiten hier die negativen Gefühle, die einen sabotieren und, wenn sie nicht umgeleitet werden, einem selbst und anderen großen Schaden zufügen können. Zur wahren Meisterschaft gehört es sein beobachtendes Selbst zu kultivieren, um im entscheidenden Moment eingreifen zu können (meist hat man dazu nur etwas zwei oder drei Sekunden Zeit), um die negative Energie umzugestalten. Stehe zu alle, gibt aber keiner Sache nach. Jesus spricht im Neuen Testament davon, dass man dem Bösen nicht widerstehen solle. Das hat nichts mit Nachgiebigkeit zu tun, sondern bedeutet, dass das Negative als solches erkannt und akzeptiert werden muss. Weiters „umarmt“ man diese Energie, so wie ein Vater oder eine Mutter ein weinendes Kind umarmen würde, um zu erkennen, was ihm fehlt und um es zu trösten. Durch die Umarmung wird man befähigt tief in den Schmerz oder Verlust hinein zu schauen, man spricht hier auch davon „das Leid zu berühren und zu transformieren“. Hat man die Botschaft verstanden, kann man sie gehen lassen und die Energie, die freigesetzt wurde gehört nun einem und man kann sie für seine Projekte zu seinem Vorteil nutzen. Ansonsten hätte uns die Energie möglicherweise großen Schaden zugefügt. Das wichtigste Werkzeug bei der Schaffung eines edlen Charakter ist die Achtsamkeit, sie ermöglicht uns immer weniger unbewusst zu handeln (wer böse handelt, handelt immer unbewusst, keine böse Tat im Leben wird je mit vollem Bewusstsein ausgeführt, immer fehlt das beobachtende Selbst), unser Leben tiefer zu verstehen und zu ergründen, was unsere Mission im Leben ist. Daraus erwächst auch die genaue Kenntnis der eigenen Werte und Ziele, was wiederum den Charakter stärkt und der Umwelt deutlich entgegen tritt.

Wie oben bereits erwähnt treffen wir diese vier Aspekte auch bei der Anatomie jedes Problems wieder an. Ein Problem ist etwas, das an uns herantritt und unser Gleichgewicht zu stören vermag, wenn wir nicht damit umgehen können. Problemlösung kann also auch als Wiederherstellung unseres natürlichen Gleichgewichtes verstanden werden. Eine Möglichkeit, die einem Problem zugrunde liegen kann ist Stress. Stress entsteht oft durch Löcher in den persönlichen Grenzen, insbesondere dann, wenn ein Mensch getrieben ist, weil er nicht „Nein“ sagen kann und es jedem Recht machen möchte. Stress wiederum ist immer entweder auf einen Schmerz oder einen Verlust zurückzuführen, das gilt für jeden Stress, den wir je erlebt haben oder je erleben könnten. Und hier sind wir wieder beim Management von emotionaler Energie. Die Ursache eines Problems kann aber auch in Fehlschlägen und Zurückweisungen liegen. Dies wiederum ist entweder auf einen Mangel an Kenntnissen (Bildung, Ausbildung, Wissen) oder einen Mangel an Erfahrung zurückzuführen. Hier sehen wir den dritten Aspekt des Charakters einer Person wieder: Intellekt und Ideen. Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass ein Problem darauf zurückzuführen ist, dass wir uns gefangen oder eingeengt fühlen. Die Ursachen dafür sind entweder ein Mangel an Bewusstheit oder einen Mangel an Intuition, womit wir beim Aspekt der Entscheidungskraft/Freier Wille wären. Alle vier Bereiche erkennen wir also auch hier wieder bei den Problemen.

Nun abschließend noch zu einem ganz wichtigen Thema: Der Erfüllung. Lange Zeit hielt ich Glück für das ultimative Ziel im Leben. Niemand trifft eine Entscheidung oder vollführt eine Handlung ohne dabei davon auszugehen, dass es ihn glücklich oder zumindest glücklicher machen würde. Dass der Mensch sich dabei oft kräftig irrt, sieht man ja an den vielen Fehlschlägen, die genau das Gegenteil, nämlich Leid, herbeiführen. Immer aber gilt, dass die Person subjektiv im Zeitpunkt des Handelns das Beste gegeben hat, das Beste wozu sie aufgrund ihres gegenwärtigen Bewusstseinsstandes in der Lage war. Aus bitteren Samen entstehen niemals süße Früchte und doch verhalten sich beinahe alle Menschen so. Es ist eine Geistestrübung, an der die ganze Menschheit leidet, auch Staaten und Regierungen sind davon betroffen. Als Ganzes hat die Menschheit seit  Jahrhunderten einen starken Niedergang durchgemacht, was insbesondere an der starken Anhaftung an der Materie zu sehen ist und der Verneinung oder zumindest Geringschätzung des Geistigen. Nichtsdestotrotz gab und gibt es stets einzelne, die dem negativen Massenbewusstsein entkommen und eine Klarheit des Geistes erwerben, die dem durchschnittlichen Menschen völlig unbekannt ist.

Niemals kann aus dem Leid, das jemandem zugefügt wird etwas Gutes für irgendjemanden entstehen, und doch baut unsere Gesellschaft in vielen Bereichen darauf auf, dass Menschen Leid zugefügt werden darf und man nennt dies dann selbstherrlich Gerechtigkeit. Ein vollendeter Charakter ist auch immer ein Charakter, der nicht dem Gewöhnlichen, dem Massenbewusstsein entspricht. Ein solch edler Charakter ist frei von der Welt und den Menschen, ohne den Menschen feindlich gesinnt zu sein. So kann einer „in“ der Welt sein, ohne „von“ der Welt zu sein.

Nun zurück zum Glück. Ich habe das Glück zwar als Urmotivation nicht verworfen, doch habe ich es mit zwei weiteren Faktoren zu einem noch umfangreicheren Begriff vereint. Diese sind: Freiheit und Erfolg. Erfüllung tritt ein, wenn alle drei Faktoren, also Glück, Freiheit und Erfolg zusammentreffen. Glück bedeutete einfach ein hohes Selbstwertgefühl zu haben. Wer sich selbst hoch schätzt und wahre Selbstliebe empfindet, der ist glücklich. Freiheit, bedeutet die Wahl zu haben, Entscheidungen treffen zu können. Erfolg bedeutet ein Ziel erreicht zu haben. Alle drei können für sich auch alleine stehen. So mag jemand ein Ziel erreichen aber keine Glück dabei empfinden, ebenso, wie jemand frei sein kann, aber erfolglos bleibt. Auch kann ein erfolgloser und unfreier Mensch trotzdem glücklich sein. Aber nur, wenn alle drei zusammen treffen ergibt sich das, was man als „Spitzenerlebnisse“ („peak moments“) kennt. Jeder hat in seinem Leben derartige Momente erlebt, in der Regel sind sie jedoch recht selten. Auf das ganze Leben umgemünzt, sind solche einzelnen Momente relativ unbedeutend. Die Qualität des Lebens wird durch ein Grundlevel bestimmt, dass bei den meisten Menschen erstaunlich konstant bleibt, über das ganze Leben hinweg. Die negativen Erlebnisse, wie etwa der Tod eines lieben Menschen, mögen zwar kurzfristig das Empfinden nach unten drücken, doch langfristig sind sie nicht von Bedeutung. Das gleiche gilt auch für Glückserlebnisse, wie sie Menschen etwa empfinden, wenn sie im Lotto gewonnen haben. Aber auch solche Menschen kehren bald wieder zu ihrem seelischen Grundniveau zurück, wie einige Untersuchung solcher Leute zeigen. Psychologen wissen, dass Optimismus bzw. Pessimismus ebenso wie Introvertiertheit oder Extrovertiertheit zu den stabilsten Faktoren der Persönlichkeit gehören. In dem meisten Fällen werden sie für gegeben erachtet und kaum einer denkt ernsthaft daran an ihnen zu arbeiten. Und doch ist auch dies möglich! Wie ich weiter oben bereits erwähnt habe, liegen im menschlichen Speicherbewusstsein alle Samen (Charaktereigenschaften) bereit. Durch den freien Willen entscheiden wir, welchen davon wir Nahrung zukommen lassen. Um es ganz deutlich zu sagen: Jeder Mensch hat das Potenzial alle Charaktereigenschaften aufzuweisen, jeder kann ein Teufel wie Hitler, Stalin oder Mao sein aber jeder ist auch dazu befähigt wie die Heiligen zu sein. Die Änderung kann jeder in jede Richtung vornehmen und zwar in jedem Alter. Das ist zwar nicht die Ansicht der Welt, aber es ist die Wahrheit. Wer sich selbst tief erforscht, weiß, dass ich die Wahrheit sage. Mögen alle Menschen einen edlen Charakter entwickeln!

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Narzissmus - die Krankheit unserer Zeit

     Narzissmus ist etwas, das im Verhalten von Menschen, vor allen in der westlichen Kultur, nicht selten zu beobachten ist. Ja unsere Gesellschaft fördert bis zu einem gewissen Grad narzisstische Bestrebungen, denn ohne sie ist ein Fortkommen kaum möglich, so glaubt man zumindest. Was passiert aber, wenn der Narzissmus die gesamte Persönlichkeit bestimmt, wenn es daneben nichts anderes mehr gibt und die Person ein echter Narzisst geworden ist? Dann spricht man von der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung – davon handelt dieser Artikel.

      Was versteht man unter einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung? Die von der WHO herausgegebene Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) fordert für die Klassifizierung der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (neben den allgemeinen Voraussetzungen für Persönlichkeitsstörungen) mindestens fünf der folgenden Punkte:

  • Sich selbst für grandios halten, die eigene Wichtigkeit enorm übersteigern
  • Ist von starken Phantasien (Macht, Geld, Erfolg, Schönheit etc.) beherrscht
  • Glaubt an die eigene Einzigartigkeit, die weit über das Normalmenschliche hinausreicht
  • Hängt exzessiv von der Bewunderung anderer ab.
  • Extrem hohe Ansprüche stellen, verlangt Sonderbehandlungen
  • Ausbeuterisch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Andere Menschen sind Quellen, um zu überleben, um die anderen selbst geht es überhaupt nicht.
  • Eklatanter Mangel an Empathie (im Extremfall gar nicht vorhanden)
  • Empfindung von sehr großem Neid oder der Glaube andere seien neidig auf einen
  • Arroganz, Hochmut

     Wie sieht nun konkret das Verhalten eines Narzissten (im pathologischen Sinne) aus? Narzissten haben ein Selbstbild, das auf eigene Grandiosität und Unbesiegbarkeit, Allmacht oder Allwissenheit aufbaut. Sie vermeiden es aber diese von ihnen behaupteten Qualitäten unter Beweis zu stellen. Der Narzisst ist darüber erhaben, Beweise liefern zu müssen. Er vermeidet den Wettbewerb und stellt sich als über solche Dinge erhaben dar. Der Narzisst betrachtet andere als Quellen für sein Leben, die er nach Belieben ausbeuten kann, da diese ihm eine Art „Tribut“ schulden, ohne, dass er dafür in irgendeiner Weise eine Gegenleistung zu erbringen hätte. Er ist oft sadistisch veranlagt, verwendet den Sadismus aber mehr dazu andere willfährig zu machen, nicht, weil er Freude am Schmerz des anderen empfindet, so wie der reine Sadist. Andere Menschen sind Objekte, keine Subjekte, haben sie ihre Aufgabe erfüllt, werden sie „entsorgt“ und durch andere Quellen ersetzt. Der Narzisst hat keine echte Bindung zu anderen Menschen und trauert auch nicht um andere, selbst wenn sie sterben sollten. Die Körpersprache des Narzissten ist dominant, arrogant, erhaben, er versucht sich überlegen darzustellen, vermeidet echten Körperkontakt, kann aber oft sehr lange Augenkontakt halten, dabei behält er aber immer eine Distanz zu anderen, er ist nie verbindlich. Er spielt soziale Verbundenheit vor, ist aber zu Teamarbeit unfähig und spielt den Intellektuellen, den Professor, derjenige in der Gruppe, der niemals emotional eingebunden ist, sondern alles aus einer überlegenen Position heraus analysiert. Das gibt ihm das Gefühl über anderen zu stehen. Darauf angesprochen gibt der Narzisst vor über großen Gleichmut zu verfügen, ein kühler Kopf zu sein und dergleichen. In Wahrheit jedoch ist ein Narzisst ein sozialer Idiot, dem Empathie völlig fehlt, auch wenn er oft charmant sein kann und anderen Mitgefühl und Anteilnahme vorspielen kann. Der Narzisst ist ein Opportunist, er investiert Gefühle immer nur, um von anderen etwas zu bekommen, nie weil ihm am Wohl der anderen etwas liegt.

     Narzissten verlangen meist eine Sonderbehandlung, bessere Konditionen als andere, bessere Plätze im Restaurant, bevorzugte Behandlung und wollen meist mit Chefs, nicht mit Angestellten reden, das wäre unter ihrer Würde, so glauben sie. Der Narzisst übernimmt keine Verantwortung für sein Leben, sein Unwohlsein führt er auf das Verhalten der anderen, der Welt, auf die unguten Umstände und Zeiten in denen er lebt zurück. Er gibt sich als der „einsame Wolf“, dessen Idee irgendwann von der Geschichte anerkannt werden würden. Er gibt vor eine Art Genie zu sein, aber die Welt sei zu „dumm“ dies zu erkennen. Gewöhnliche Tätigkeiten sind ihm verhasst, Routine lehnt er ab, er braucht Unterhaltung. So besitzt er auch kein Durchhaltevermögen und kann keine langfristigen Pläne fassen. Narzissten idealisieren andern und werten sie dann hinterher ab. Sie loben, wen sie brauchen für ihr übergroßes Bedürfnis nach Ansehen und Bewunderung. Haben sie den anderen aber „ausgesaugt“, dann wendet sich der Narzisst brutal ab und lässt den anderen mit seinem Leid alleine.

     Narzissten sprechen manchmal von sich selbst in der dritten Person, sie sprechen von ihrem Leben wie vom Leben eines anderen. Sie denken viel, wobei die Gedanken immer nur um sie selbst kreisen, doch fühlen sie nicht, sie sind emotional verkrüppelt. Sie sehen ihr Leben wie in einem Film ablaufen, wobei der Film meist einem Alptraum gleicht, aber der Narzisst fühlt den Schmerz nicht, er ist dissoziiert, lebte fast wie außerhalb von seinem Körper. Seinen Körper empfindet der Narzisst als ein Werkzeug, dass er verwenden kann, aber er hat kein echtes Integrationsgefühl, der eigene Leib ist wie etwas Fremdes für ihn, das wahre Selbst, so meint er, sei viel edler und über solche Dinge, wie Materie erhaben. Der Narzisst hat eine Meinung von sich selbst, die mit der Realität nicht übereinstimmt, er schmückt sich oft mit fremden Lorbeeren und macht die Leistungen anderer herunter, um selbst besser dazustehen. Dabei wertet er nicht unbedingt offensichtlich ab, sondern er kann anderen ein peinlich übertriebenes Lob aussprechen, das im Effekt wie eine Beleidigung wirkt – genau das, was der Narzisst in Wahrheit möchte.

     Narzissten leiden an Aufmerksamkeitsdefiziten, sie leben meist nur in ihren eigenen Gedanken und nehmen in der Umwelt nur das wahr, was sie gerade brauchen, um etwas zu erreichen. Andere Menschen an sich sind ihnen gleichgültig. Sie meiden Menschen, die Probleme haben, um nicht um Hilfe gefragt zu werden. Um Hilfe zu bitten ist für den Narzissten erniedrigend. Doch er ist völlig abhängig von anderen, hat viel weniger Selbständigkeit, als normale erwachsene Menschen, deshalb muss er andere in Situationen bringen in denen er berechtigt ist von ihnen etwas zu fordern, ohne dass es so aussieht, als wäre der Narzisst bedürftig. Narzissten rationalisieren und idealisieren ihr Leben, ihre Fehlschläge werden der Umwelt zugeschrieben, sie selbst bleiben perfekt, auch wenn sie nichts leisten. Narzissten haben kaum persönliche Grenzen und können so auch jene anderer Menschen nicht respektieren, für sie ist jeder andere eine potentielle Quelle für ihre narzisstische Versorgung und der Narzisst sieht auch gar keinen Grund, warum nicht jeder andere bereitwillig für ihn (kostenlos) zur Verfügung stehen soll. Er fühlt sich berechtigt von der Welt alles zu fordern, ohne etwas zurückzugeben. Er ist ein Mensch, der nur nimmt und nichts zurückgibt!

     Narzissten sind meist sehr reaktiv, sie sind todernst und vertragen keine Scherze über sich. Sie selbst sind oft zynisch und sarkastisch gegenüber anderen, dulden aber nicht den kleinsten Scherz über sie selbst. Sie sind aufbrausend und geraten sehr leicht in Rage über Dinge, die bei einem gesunden Menschen höchstens zu einer kleinen Unstimmigkeit führen würde. Der Narzisst hat auch das Gefühl nicht menschlich zu sein, mehr eine Art höheres Wesen, das auf die Erde gekommen ist, um die einfachen Menschen zu studieren. Er fühlt sich ständig missverstanden. Oft sind sie paranoid, schizoid, antisozial und nicht selten selbstzerstörerisch, Süchte und Perversionen kommen bei ihnen oft vor. Narzissten peinigen aber meist nur den engen Kreis ihrer Familie und ihres sozialen Netzes, eben jene Quellen, aus denen sie ihre Versorgung beziehen. Für die Umwelt sehen solche Menschen meist recht normal aus, vielleicht mit kleinen Abweichungen. So täuscht der Narzisst die ganze Welt, meist sein ganzes Leben lang.

     Narzissten sehnen sich oft nach Halt und finden den etwa in einer Religion oder einer strickten Ideologie. Sie unterwerfen sich dann und gehorchen den Regeln einer Institution strickt. Narzissten können nicht wirklich reife Entscheidungen treffen und sind sehr leicht verführbar von totalitären Systemen. So sind der Nationalsozialismus und der Kommunismus für Narzissten sehr attraktiv, denn so brauchen sie nicht zu denken, unterwerfen sich strickten, absoluten Regeln und gelten trotzdem als erwachsene Menschen. Die Welt des Narzissten besteht im Grund nur aus der Phantasie, sie leben nicht in der Realität, diese auszuhalten würde einem kompletten seelischen Zusammenbruch gleichkommen. Die Distanz zwischen sich und der Welt ist überlebenswichtig für sie. Bei Problemen driften diese Menschen in die Phantasiewelt ab. Narzissten sind wie Kinder, sie brauchen andere um ihre Ziele zu erreichen. Typisch ist auch, dass sie bei Frust die Ursache dafür vernichten wollen. Narzissten haben kein privates Selbst. Während die meisten Menschen in der Gesellschaft bestimmte Rollen spielen (Beruf, Alltag, Nachbarschaft, Gemeinde, etc.) gibt es doch einen reservierten exklusiven Bereich für die Familie und Freunde. Narzissten haben so etwas nicht, sie sind immer die gleiche Rolle, ihr Leben spielt sich auf einer Bühne ab und sie stehen ständig unter Beobachtung (meist von ihren Eltern durch das übergroße Über-Ich). Sie glauben die normalen Regeln und Gesetze gälten für sie nicht. Tatsächlich ist „Normal-Sein“ für Narzissten etwas der schlimmsten Dinge, die sie sich vorzustellen vermögen.

     Was die Sexualität betrifft, so ist diese bei Narzissten hochgradig gestört. Der Narzisst sehnt sich zwar nach nichts so sehr, wie nach Liebe, doch seine Unfähigkeit zu Intimität verunmöglicht ihm eine gesunde Beziehung. So verwendet der Narzisst andere nur zum eigenen Lustgewinn, der Partner ist ein Objekt und Sex nur dazu da sein körperliches Bedürfnis zu befriedigen, egal was er auch sagen mag, mag er noch so charmant und „einfühlsam“ wirken, im Grunde geht es dem Narzissten um nichts anderes, als Sex zur Befriedigung seiner narzisstischen Bedürfnisse zu verwenden. Er ist nie demokratisch, kann den Partner nie als Menschen akzeptieren, fordert Bewunderung, Anbetung (manchmal unter Anwendung von Sadomasochismus, um den Partner willfährig zu machen). Narzissten sind autoerotisch, nichts turnt sie mehr an, als sie selbst. Auch für Inzest sind sie sehr anfällig, denn ihre eigene Familie ist ihnen selbst (genetisch) am ähnlichsten. Sexuelle Perversionen und Paraphilien sind häufig.

     Der Narzisst ist ein Versager, ein Verlierer, doch dies hindert ihn nicht daran an seine „Mission“ zu glauben, daran, dass er zu Größerem bestimmt ist. Zumindest glaubt er, dass er ein Anrecht auf ein leichtes Leben haben müsse. Zwar ist er kein grundsätzlicher Gegner von harter Arbeit (Narzisst sein ist selbst harte Arbeit), doch er lehnt es ab untergeordnete Tätigkeiten zu verrichten, unter anderen zu „dienen“. Erniedrigung ist für den Narzissten noch viel schwerer auszuhalten, als für andere Menschen, denn der Narzisst bezieht all seine Selbstachtung nur von außen, er hat keine innere Quelle dafür. Erniedrigung kommt für ihn einem Seelenmord gleich und bedroht seine ganze Existenz. Er wird dann oft wie ein Tier in Lebensgefahr reagieren. Aufgrund der mangelnden Selbstkontrolle können Narzissten leicht ausrasten und gewaltige Aggressionen zeigen, die für das Umfeld völlig unverständlich sind. Ist der Narzisst nicht mehr in der Lage seine innere Spannung zu kompensieren, kommt es oft dazu, dass er sich aus dem Leben völlig zurückzieht und keinen Kontakt mehr mit Menschen pflegt, die Welt ist für ihn ein gefährlicher Ort und scheinbar hat sich alles gegen ihn verschworen. Verschwörungstheorien sind recht häufig unter Narzissten anzutreffen. Manche werden schizoid arbeiten in abgeschlossenen, abgedunkelten Räumen mit Computer und Büchern und pflegen keine Sozialkontakte mehr. Der Narzisst kann trotz Fehlschlägen nicht mit seinem Verhalten aufhören, da aus seiner Sicht sein ganzes Dasein an seinem Verhalten hängt. Auch wenn er leidet, so hat er es sich doch gemütlich eingerichtet in seiner Misere und Veränderung ängstigt ihn noch viel mehr als das bekannte Leid.

     Die Arroganz, die Abneigung gegen Routine und die Vorstellung zu allem berechtig zu sein, verhindern, dass der Narzisst Erfolg haben kann, er ist gesellschaftlich ein Idiot, selbst wenn er einen hohen IQ haben sollte. Dennoch sind Narzissten im Grunde dumme Menschen und recht gut vorhersehbar. Sie sind leicht zu manipulieren und werden oft Opfer von Betrug und Missbrauch. Auf der einen Seite fühlt sich der Narzisst allen anderen überlegen, übermächtig und bewundernswert, auf der anderen Seite aber spürt er seine Ohnmacht, seine Hilflosigkeit anderen und der Welt gegenüber.

     Der Narzisst ist kein erwachsener Menschen, sondern ein kleines Kind, er ist niemals reif geworden er ist ein puer aeternus (Peter Pan, Dorian Grey). Die Seele wurde in der Kindheit durch Traumata in einen Schockzustand versetzt, so dass sie nicht mehr weiter wachsen konnte. Gleichzeit hat sich ein falsches Selbst aufgebaut, das von nun an das Leben dominierte und allmählich zur ganzen Persönlichkeit wurde.

     Das Verhältnis zu anderen Menschen gestaltet sich für den Narzissten sehr problematisch. Ein besonderes ist jenes zu den Eltern. Meist sind die Eltern die Verursacher des Kindheitstraumas und nicht selten sind sie selbst Narzissten oder Co-Narzissten (Narzissten, die von einem Narzissten abhängig, co-abhänig, sind). Die Eltern sind die Quelle der Frustration, der Narzisst weiß das und hasst seine Eltern oft aus ganzem Herzen, selbst wenn er sich um sie kümmert und mit ihnen zusammenlebt. Sie sind ja die Ursache seines Traumas, seiner Störung, seines verpfuschten Lebens. Aber Narzissten sind nicht frei von ihren Eltern, sie sind an sie gebunden. Etwas Besonderes passiert, wenn die Eltern sterben. Der Narzisst braucht lebende Eltern, um sie hassen zu können, um ihnen Vorwürfe machen zu können, doch wenn sie sterben, verlassen sie ihn, was soviel heißt wie, dass er eine Quelle seiner narzisstischen Versorgung verliert. Für den Narzissten sterben seine Eltern nie, ihre Stimmen sind in seinen Geist eingebrannt und verfolgen und kontrollieren ihn auch noch nach ihrem Tod, meist bis zum Tod des Narzissten selbst. Sterben die Eltern, dann wird der Narzisst selbst wieder zum Kind, er fühlt sich wie eine Waise, wieder wurde er von den Eltern verraten.

     Häufig kommt es vor, dass Narzissten nie von Zuhause ausziehen, sondern ewig bei den Eltern bleiben (bis diese sterben), sie weigern sich erwachsen zu werden und übernehmen keine Erwachsenenaufgaben (Beruf, Beziehung, Familie, etc.).

     Das Verhältnis zu Kindern ist ebenso problematisch. Kinder verhalten sich wie Narzissten und das ist ein ganz normaler Teil der Entwicklung. Sie kokettieren um Aufmerksamkeit, halten sich für charmant und unbesiegbar, prahlen, tricksen und kommen damit durch, man verzeiht ihnen, ja oft werden sie noch ermutigt, um ein gesundes Selbstwertgefühl zu bekommen. Der Narzisst ist im Grunde ein solches Kind, nur er ist erwachsen, bei ihm wird dieses Verhalten nicht mehr geduldet, er bekommt Probleme mit der Umwelt. Er hasst Kinder, er ist neidig auf sie, weil er sich selbst in ihnen sieht. Sie dürfen, was er nicht darf, sie bekommen, was ihm versagt wird. Neue Familienmitglieder werden von vielen Narzissten abgelehnt oder sie versuchen diese zu manipulieren, um von ihnen bewundert zu werden. In den ersten Lebensjahren darf ein Kind fordern, doch je älter es wird, desto mehr erwartet auch die Umwelt als Gegenleistung von ihm. Der Narzisst sieht dies niemals ein und bleibt ein Kind und hält sich auch berechtigt dazu, sein Leben lang fordern zu dürfen, ohne dass jemals etwas von ihm gefordert werden darf.

     Der Narzisst hat keine echten Freunde. Er mag Bekanntschaften haben, doch Freundschaft erfordert Empathie und eine solche ist bei einem echten Narzissten kaum oder gar nicht vorhanden. Er nutzt Menschen aus, erkennt ihre Schwächen, übervorteilt, ist unzuverlässig, hält sein Wort nicht – keine Freundschaft kann so bestehen bleiben. Narzissten erkennen nie den Wert und die Fähigkeit anderer Menschen, für sie sind sie immer nur Objekte, die verwendet werden können, ganz nach belieben, ohne echten Wert.

     In späteren Jahren werden viele Narzissten Geisteskrank oder begehen unter bestimmten Umständen Selbstmord. Es ist für sie die einzige Art zu überleben, die Realität kann nicht mehr ausgehalten werden. Ohne falsches Selbst ist der Narzisst einem derartigen Übermaß an Schmerzen ausgesetzt, dass er sich nicht mehr integrieren kann, er bricht psychisch völlig zusammen. Gewöhnlich beendet der Narzisst sein Leben einsam, alleine und tief verbittert.


Der Kern des Narzissmus

     All diese Betrachtung führen zur Fragen, was denn im Grunde im Zentrum der Narzissmus steht. Welche Grundhaltung besteht im Kern der Persönlichkeit eines Narzissten? Der Narzisst ist ein Mensch, der keine Ahnung hat, wer er wirklich ist. Er kennt sein eigenes Wesen nicht. Das Selbst des Narzissten ist ein großes dunkles Loch! Ein falsches Selbst ist so übermächtig (durch das Über-Ich) geworden, dass es nicht einmal mehr einen Kampf mit dem echten Ich gibt, denn dieses wurde in der Kindheit verkrüppelt und das falsche Ich hat die Persönlichkeit eingenommen und vergewaltigt den Menschen nun permanent von innen heraus. Dies wird aber vom Narzissten nicht erkannt, denn er ist mit dem falschen Ich so vertraut, es ist ja sein Herr und Meister, dass er es für seine wahre Persönlichkeit hält. Er kann die Falschheit nicht erkennen. Der Narzisst ist ein Sklave, ein Sklave des falschen Ichs! Der Narzisst hat seine Selbstverwirklichung und sein Erwachsensein zugunsten eines Sklaventreibers (des falschen Selbst) aufgegeben. Depression, Hoffnungslosigkeit, Ohnmacht, die der Narzisst immer wieder spürt, durch seine Unfähigkeit erwachsen zu sein. Er empfindet große Scham, vor allem, wenn er sich mit Gleichaltrigen vergleicht, die es zu etwas gebracht haben.

     Der Ursprung von pathologischem Narzissmus liegt in Kindheitstraumata. Die Dissoziation ergibt sich als Reaktion auf das Kindheitstraumas. Tief in inneren hasst der Narzisst sich selbst und zweifelt zutiefst an sich. Das ist auch der Kern der ganzen Persönlichkeitsstörung! Der Narzissmus ist eine Abwehr gegen diesen tief liegenden Selbsthass! Narzissmus ist eine Form von Posttraumatischer Belastungsstörung. Der Narzisst besitzt nicht seine eigene Seele oder seinen eigenen Körper, diese sind ihm durch das falsche Selbst genommen, dessen Sklave der Narzisst ist. Er hat keine Kontrolle über sich, deshalb ist er auch verwundert, wenn er für etwas zur Verantwortung gezogen wird, was er getan hat. Der Narzisst verliert sein Leben, mitsamt Vergangenheit und Zukunft an das falsche Selbst. Der Narzisst ist voller Minderwertigkeitsgefühle. Er weiß, dass er als erwachsener Mensch etwas leisten sollte und kann es doch nicht, er ist ein Kind in Körper eines Mannes oder einer Frau. Die Scham darüber ist grenzenlos. Der Narzisst findet zuweilen heraus, dass er ein Sonderling ist und er bekommt es mit der Angst zu tun: Angst davor, wie andere auf ihn reagieren und Angst davor, wie er selbst reagiert (nachdem er ja nicht Herr über sich selbst ist).

     Der Missbrauch von Kindern kann auf dreierlei Arten zustande kommen. 1.) Verhätschelung des Kindes (das Kind wird süchtig danach) 2.) Vernachlässigung des Kindes 3.) eigentlicher Missbraucht (sexuelle, oder nicht sexuelle, emotional, physisch). Sexueller Missbrauch ist nicht typisch für das, was einem Narzissten in der Kindheit angetan wurde, sehr häufig jedoch ist der emotionale Missbrauch. Missbrauchte Kinder internalisieren die Stimmen des Missbrauchers. Ihr Leben verbringen sie damit Gegenstimmen dafür zu finden. Eltern sind Vorbilder und Kinder lernen von ihnen im positiven wie im negativen Sinne. Liebe lernen die Kinder von ihnen, sind die Eltern dazu nicht in der Lage, hat das Kind wahrscheinlich die allergrößten Schwierigkeiten mit Liebe und Intimität. Die Ursache für eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung liegt fast nie in einem einzigen traumatischen Akt begründet, sondern in einer längeren Serie von Missbräuchen (Süchtige Eltern, körperliche Züchtigungen, Erniedrigungen etc.). Wenn Eltern Kinder missbrauchen, dann werden sie selbst wieder zu Kindern, die versuchen mit ihrem eigenen Missbrauch umzugehen.


Therapie

     Die Narzisstische Persönlichkeitsstörung gehört zu den psychischen Störungen, die am schwierigsten zu behandeln sind. Dies liegt vor allem daran, dass der Patient süchtig von seiner Störung ist, er liebt sie im Grunde sogar. In die Therapie kommt er nicht, um geheilt zu werden, sondern um mit den Lebensschwierigkeiten besser umgehen zu können – kurz: um ein besserer und erfolgreicherer Narzisst zu sein. Viele Therapeuten lehnen es ab Narzissten zu behandeln aufgrund der schlechten Erfolge und der Unwilligkeit der Patienten, zudem wird der Patient auch den Therapeuten erniedrigen, denn in seinen Augen ist er ja selbst eine Art „Kollege“ und verfügt mindestens über dieselben Fähigkeiten und dasselbe Wissen. Die meisten Narzissten lehnen eine Psychotherapie vehement ab. Nicht selten kann nur die Intervention von außen, zum Beispiel durch einen Gerichtsbeschluss, dazu führen, dass ein Narzisst überhaupt an einen Therapeuten gerät. Narzissten geben ihre Krankheit meist nur in großen Lebenskrisen zu und selbst dann fallen sie bald wieder in ihr altes Verhaltensmuster zurück, auch wenn sie bereits einiges an Therapie hinter sich haben.

     Um an das wahre Selbst des Narzissten heran zu kommen ist sehr viel Anstrengung nötig. Viele Therapeuten haben es völlig aufgegeben dieses verkrüppelte Etwas hervorzukramen und dann damit zu arbeiten (das wahre Selbst ist meist nicht älter als fünf Jahre). Sie versuchen viel mehr ein völlig neues Selbst aufzubauen, ein neues wahres Selbst, mit dem der Patient besser in der Welt leben kann. In der Therapie muss der Narzisst einem anderen Menschen vertrauen, etwas, das er in der Regeln nicht kann. Er muss sich auch „unterordnen“ und anerkennen, dass der Therapeut mehr weiß und besser in der Lage ist ihm zu helfen, als er es selbst könnte. Er muss also die Überlegenheit eines anderen anerkennen – wie schwer dies für den Narzissten ist, ist aus diesem Text bisher bereits deutlich geworden. Der Narzisst wird von einem enormen Über-Ich beherrscht, das seine gesamte Persönlichkeit durchdrungen hat, ja im Bewusstsein des Narzissten seine Persönlichkeit ist.

     Auch muss der Narzisst erkennen, dass er, wenn er gesund werden will, sich mit der „Normalität“ des menschlichen Daseins anfreunden muss. Normal zu sein ist für den Narzissten eine Erniedrigung, denn es heißt er muss so sein, wie die anderen, denen er sich bisher immer überlegen gefühlt hat. Bei der Therapie geht es darum, dass sich das wahre Selbst zeigen und entfalten darf und dass das Über-Ich eingebremst und wenn möglich ersetzt wird, damit das wahre Ich Kontrolle über die Persönlichkeit erlangen kann.

     Am Anfang muss der Narzisst sich seiner selbst bewusst werden. Die typischen Rationalisierungen müssen aufgeben werden, der Patient erkennt die (erschreckende) Realität seines Leben. Dann beginnt der Narzisst sich selbst realistischer zu sehen. Dies geschieht durch die Hilfe von anderen Menschen, in dem diese ihm schonungslos und offen mitteilen, wie das Leben des Patienten aussieht (Freunde, Bekannte, etc.). Der Narzisst gibt nun die Quellen seiner Sucht (narzisstische Versorgung) auf. Dann ist der Patient so weit, dass er sich auf die eigentliche Therapie einlassen kann, und zwar mit der Absicht wirklich geheilt zu werden und nicht nur um ein „besser funktionierender Kranker“ zu sein.

     Die Gefühle des Narzissten sind „eingefroren“, in Wahrheit ist er nur in einer Linie gebunden: an die Krankheit selbst, in sie investiert er all seine emotionale Energie. Vorsicht ist auch dort gebunden, wo der Narzisst zwar seine Störung zugibt, aber keine Verantwortung übernimmt, sondern nur die Störung selbst für sein Leben verantwortlich macht. Der Narzisst auf dem Weg der Besserung muss zugeben, dass die Krankheit durch ihn selbst verursacht wurde und dass er auch dafür völlig gerade stehen muss. Das Verständnis der Störung bringt noch keine Besserung. Es genügt nicht, dass der Patient über sie Bescheid weiß. Echte Heilung kann nur dort geschehen, wo der Narzisst beginnt wirklich zu fühlen, den Schmerz in sich zu spüren und auszudrücken und nicht mit Worten zu „bewältigt“. Am Ende der Therapie ist der Narzisst im besten Fall kein Narzisst mehr, sondern ein Mensch, der viele Jahre seines Lebens verloren (geopfert) hat auf dem Altar eines Götzen (falsches Selbst). Er kann nun trauern, erkennt, seine Unreife und kann in der Folge konstruktiv daran arbeiten wirklich erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Er erkennt dann seine Verwundbarkeit, aber er ist frei, frei sich selbst zu verwirklichen und sein Schicksal zu erfüllen.

     Als wirksame Therapieformen haben sich 12-Stufenprogramme, EMDR (Eye Movement Desentizitation and Reprocession) und auch manchmal NLP herausgestellt. Man darf nicht vergessen, dass der Störung Traumata zugrunde liegen, deshalb sind gerade jene Methoden am ehesten Erfolg versprechend, die sich mit posttraumatischen Stress und ebensolchen Störungen beschäftigen.

     Auf diesem Blog wird in Zukunft einiges über den Umgang mit Narzissten geschrieben werden, denn diese Fertigkeit zu besitzen ist heutzutage beinahe unumgänglich, ist doch der moderne Mensch geradezu durch diese Charakterstörung gekennzeichnet. Zuerst aber muss sich jeder selbst fragen, ob nicht er oder sie selbst narzisstische Züge besitzt. Und sollte dem so sein, dann ist die vordergründige Aufgabe diese mit Stumpf und Stiel zu beseitigen. Daran möge man stets denken.

Freitag, 19. Oktober 2012

Kommentar: Was ist der Mensch? Oder was ist das Bestreben dieses Blogs?



Sokrates*
 
   
         Die Frage „Was ist der Mensch?“, bzw. „Was ist seine wahre Natur?“, ist eine überaus schwierige. Sie trifft jedoch genau den Kern worum es in diesem Blog geht. Denn, wenngleich der Titel „Strategos 21“ für manchen auf martialische oder im schlimmsten Fall sogar machiavellistische Ambitionen schließen lässt, so ist die Wahrheit doch fern all dessen zu suchen. Denn ganz im Gegenteil ist das einzige Bestreben, dem all diese Website gewidmet ist, jene das wahrhaft Gute zu finden und zu fördern, den Menschen in seiner Gesamtheit zu erkennen, wie er wirklich ist und sein umfassendes Wohlergehen zu betreiben.

Warum der Mensch nicht sehen kann, was real ist
Es ist schon sehr erstaunlich, wenn man die Menschen beobachtet und erkennt, dass sie mehr ihren eigenen Gedanken glauben, als, dem was sie um sich herum wahrnehmen. Noch schlimmer ist dies freilich, wenn es sich nicht um den einfachen Durchschnittbürger, sondern um Entscheidungsträger, vor allem in der Politik, handelt.

Wenn der Weise eine Wahrnehmung hat, die seinen Gedanken wiederspricht, dann gibt er die Gedanken auf. Wenn der Einfältige eine den Gedanken wiedersprechende Wahrnehmung hat, dann gibt er die Wahrnehmung auf und hält an den eigenen Gedanken fest. Dabei ist das, was die meisten Menschen denken nicht wirkliches Denken in dem Sinne, dass es sich dabei um ein schrittweises fortkommen vom Problem zur Lösung handeln, sondern ein ständiges Kreisen um dasselbe, meist sind dies schlimme Vorstellungen von dem, was geschehen könnte. Die Angst beherrscht viel mehr die geistigen Prozesse, als die realistische Hoffnung. Meist ist das Denken nichts anderes als „Hirnwichserei“, wie ein italienischer Philosoph sich ausdrückte.

Um zu verstehen, was mit dem Menschen wirklich geschieht, ist es notwendig tiefer in seine Psyche einzudringen. Es war der geniale Wilhelm Reich der erkannte, dass unter dem Oberflächenverhalten des Menschen, das freundlich und angepasst ist, sich Hass, Aggressionen und allerhand Destruktivität befindet. Das selbst war noch nichts Neues, denn Freud hatte diesen Bereich bereits ausführlich behandelt und ihn das „Unbewusste“ genannt. Reichs Leistung lag nun darin, diesen Bereich als Ergebnis einer Abwehr gegen die Triebversagung zu erkennen, die sich allmählich verhärtet und so zum Charakter des Menschen wird. Das, was den Charakter des Menschen ausmacht, ist im Grunde eine Pervertierung seiner Natur. Diese Panzerung überdeckt die wahre Natur des Menschen, die gut ist und nichts Böses kennt. Wer jedoch beim Unbewussten halt macht und dieses für das Wahre hält, kann nur eine schlechte Meinung vom Menschen entwickeln. Ich werde in einem späteren Eintrag über das dreistufige Modell von Wilhelm Reich schreiben. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass es zwischen der wahren guten Natur des Menschen und seiner friedlichen Oberfläche einen korrupten, verhärteten Bereich gibt, der durch die Erziehung entstanden ist. Erziehung ist das Schlimmste, was einem Menschen in seinem Leben widerfährt, denn alle Schwierigkeiten im Leben gründen darauf, alles Unheil der Menschheit liegt in den Prägungen die die Kinder durch Eltern, Familie, Lehrer etc. erhalten!

Was für diesen Artikel jedoch ausschlaggeben ist, ist dass diese „Panzerung“, diese Charakterverhärtung, der Grund dafür ist, dass die Menschen die Welt nicht klar sehen, wie sie ist, sondern ein verzerrtes Abbild davon bekommen. So ist es erklärbar warum klug denkende Menschen unkluge Dinge tun, warum Menschen sich selbst und anderen Schaden, warum Menschen andere dazu bringen wollen, das zu tun, was sie von ihnen wünschen, warum Abhängigkeiten existieren, konservative strickte Religionen (ja möglicherweise Religionen überhaupt) etc. nicht längst von der Gesellschaft abgeschüttelt worden sind. Diese Panzerung ist die Ursache dafür, dass der Mensch aus seiner Natur herausfällt, dass er sich getrennt von der Welt empfindet, dass er das Gefühl hat nicht das zu sein, was er sein könnte. Die meisten Menschen sind darauf konditioniert sich die Dinge nicht richtig anzusehen und was noch schlimmer ist, sie sind dressiert darauf auf die Worte von Menschen, anstatt auf die Taten zu schauen. Nur so ist es erklärbar, dass zwar alles Mögliche in der Welt kritisiert wird, dass aber genau diese Missstände weiter unterstützt werden. Man schimpft zum Beispiel darüber, dass man der Politik nicht trauen könne, läuft aber bei der nächsten Wahl genau den Politikern nach, die am meisten versprechen. Mancher Politiker hat sich bereits darüber aufgeregt, dass die Menschen einen nach der Wahl danach beurteilen würden, was man vor der Wahl gesagt habe. Das ist ein klares Zeichen dafür, dass solche Leute den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Es ist doch gerade das Normalste von der Welt, dass man jemandes Handlungen mit dessen Worten vergleicht. Es scheint so zu sein, dass immer mehr Menschen erwarten, dass die Rolle, die sie im Leben spielen von den anderen akzeptiert wird. Sie wollen nicht mehr, dass man sie tatsächlich ansieht und dann nach ihren Taten beurteilt.

Lassen wir uns nicht täuschen! Wir leben mit Sicherheit in einer Welt des Scheins, aber gerade derjenige, der den Schein durchschaut (und das ist im Grunde gar nicht schwer, man muss dazu nur seiner eigenen Natur und nicht der menschlichen Kultur folgen), ist der wahrhaft Mächtige. Für Realisten hat die Zukunft immer viel zu bieten, nur für die Persona des Menschen sieht es nicht sehr rosig aus.

Je mehr ein Mensch in der Realität lebt, desto erfolgreichen wird auch sein Leben verlaufen. Die Wirklichkeit ist den Menschen zumutbar! Gerade im 21. Jahrhundert werden Menschen und ganze Gesellschaften nicht überleben können, wenn sie an Illusionen festhalten. Gerade die westliche Welt läuft Gefahr aus ihren alten Überzeugungen nicht herauszukommen.

Das einzige, von dem man im Leben niemals genug bekommen kann, sind Liebe und 100 Prozent Realität. Drum lasst uns die Wirklichkeit begrüßen und geben wir die fixen Vorstellungen im Kopf, egal ob positiv oder negativ, auf!

 
Der Mensch und seine persönlichen Grenzen
Seine Grenzen zu kennen ist eine Notwendigkeit für jeden Menschen, denn erkennt er diese nicht, so kann er weder eine klare Vorstellung davon bekommen, wer er selbst ist, noch etwas vom Wesen der anderen und der Welt erkennen. Ein wichtiger Teil des menschlichen Heranreifens ist es seine Grenzen zu erproben und teilweise auch zu versuchen die Grenzen zu überschreiten. Es gibt dabei selbst geschaffene, von der Gesellschaft und von der Erziehung geschaffene, aber auch, und das ist das eigentlich Entscheidende, Grenzen, die von der Natur für einen festgelegt wurden. Die ersteren zu überschreiten ist eine Pflicht, sich selbst und auch den Mitmenschen gegenüber, auch wenn es diesen nicht gefallen mag, doch letztere kann der Mensch nicht ohne Gefahr überschreiten. Die Suche nach den persönlichen Grenzen spielt sich idealerweise zwischen diesen beiden Bereichen ab.

Kinder und Jugendliche verletzen ständig Grenzen und sind damit durchaus teilweise ein Ärgernis für die anderen, doch ist es notwendig, dass sie dies tun, denn sonst könnten sie ihre eigene Persönlichkeit nicht erkennen und sich selbst nicht definieren. Allmählich findet der Mensch heraus, was er für Stärken und Schwächen hat, welche Werte und Überzeugungen und dadurch ist er in der Lage sich seine Grenzen zu bilden.

Jetzt gibt es aber auch Menschen, die von östlichem Denken, aber auch von allem, was so unter New-Age und Esoterik oder anderen Irrsinn fällt, beeinflusst sind und glauben, dass es so etwas wie absolute Grenzen für sie nicht geben könne. Die Illusion des Kindes in seinem Inneren eigentlich alles zu können und nur durch die anderen oder die „bösen“ Naturgesetze daran gehindert zu werden, zeigt sich hier deutlich. Es geht so weit, dass Meditierende „Erfahrungen“ machen, bei denen sie ihren Körper zu verlassen glauben und dann enttäuscht sind, dass sie ihr Leben in einem fleischlichen Körper leben müssen. Das Kind in ihnen will das nicht wahrhaben, und wenn sie keine reife Persönlichkeit entwickelt haben und sich ihrer eigenen Beschränkungen nicht bewusst geworden sind, und sollte sie diese doch erkannt haben aber nicht akzeptieren, dann regiert der Widerwille. Scharlatane und Gurus nutzen diese Sehnsucht der Menschen schamlos aus und erzählen ihnen genau das, was sie hören wollen. Nämlich, dass sie ihn Wahrheit tatsächlich nicht beschränkt seien und sehr wohl „transzendentale“ Erfahrungen machen könnten. Ja manche gehen so weit zu behaupten, dass es so etwas wie ein „Selbst“ gar nicht gäbe. Im Grunde seien alle Erscheinungen in der Welt ohnehin  nicht real, Grenzen also in Wirklichkeit gar nicht existent. Man müsse eben sein „Ego“ besiegen, alle Vorstellungen fallen lassen, dann würde man zur „Wahrheit“ gelangen. Das ist diese weltabgewandte, verträumte Position der östlichen Religionen. Doch beurteile man eine Sache immer nach den Ergebnissen und nicht nach den Verheißungen, oder den flotten und wohlgefälligen Worten. Tatsache ist, dass Menschen, die solchen Vorstellungen anhängen nicht gerade zu den Erfolgreichsten im Leben gehören (mal abgesehen von den Scharlatanen, denen es gelingt genug Dumme zu finden und dadurch ein angenehmes Leben führen können). Auch hat gerade der Westen (Europa, USA, etc.) die Welt zugänglich gemacht, Erfindungen und wissenschaftlicher Fortschritt wurden nicht gemacht, indem geträumt wurde und an „geheime“ Mächte geglaubt wurde, sondern indem man sich auf den Verstand verlassen hat. Gerade die Tatsache, dass es unmögliche Dinge gibt, macht Wissenschaft und auch das Denken an sich überhaupt erst möglich. Mag sein, dass der Verstand nicht alles erfassen kann, doch etwas, das dem Verstand zuwider läuft, ist nicht kritisch zu beäugen (das lässt natürlich den Bereich offen, der dem Verstand nicht zugänglich ist, weil er dessen Grenzen überschreitet – der Bereich wahrer Spiritualität und all dessen, was als Metaphysik bezeichnet wird), sondern schlichtweg abzulehnen.

Aber das kleine Kind in vielen Menschen interessiert solch rationales Denken ohnehin nicht. Grenzen werden nicht akzeptiert, ja sie werden geradezu als eine Beleidigung aufgefasst. Infantile Menschen (vor allem Esoteriker, Okkultisten, religiöse Fanatiker, Schamanen, Sozialrevoluzzer, Narzissten, etc.) wehren sich gegen eine Eingrenzung, die ihnen scheinbar von den anderen (rational denkenden) Menschen aufgezwungen wird. Der Narzissmus geht bei manchen so weit, dass sie ein ganz eigenes Gottesbild entwickeln, bei dem sie glauben selbst Gott zu sein, beziehungsweise zumindest das Potenzial zu haben, selbst zum Gott werden zu können. Wer sich selbst für alles hält, der kennt im Grunde auch keine anderen. Nette Sprüche wie „wir sind alle Kinder der Quelle“ oder „wir sind alle eine Einheit“, hört man dann gerne aus diesen Kindermündern. Das ist alles völliger Kokolores. Aber verführerisch allemal für Menschen, die zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht unterscheiden können, die nicht begreifen wollen, dass das Universum nicht geschaffen wurde, damit der Mensch bekommt, was er will. Dem Universum ist es schlicht und einfach egal, wie es dem Menschen geht.

Woran erkennt man nun, dass jemand seine Grenzen nicht kennt oder unsicher in Bezug auf diese ist? Dazu gibt es einen ganz einfachen Test: Der „Nein-Sag-Und-Nein-Hör-Test“. Menschen, die ihre eigenen Grenzen kennen, können „nein“ sagen, wenn ihre Grenzen verletzt werden oder bedroht sind. Aber, und das ist der zweite Teil des Tests, solche Menschen können auch ein „Nein“ eines anderen akzeptieren, sie versuchen also auch nicht in den anderen einzudringen. Wer dem anderen nicht seine Grenzen lassen kann, zeigt, dass er selbst „Löcher“ in den eigenen Grenzen hat. Aber noch bevor dieser Test angewandt werden kann, muss die Frage danach geklärt werden, was ein Mensch kontrollieren kann und was nicht. Der Mensch kann kontrollieren, was innerhalb seiner Grenzen abläuft, was außerhalb davon passiert, darüber hat er keine Gewalt. Wer nun zum Beispiel glaubt sein Schicksal durch die Sterne kontrollieren zu können (Astroverblödungsunsinn), der kennt nicht seine eigenen Grenzen, er versucht zu kontrollieren, was nicht zu kontrollieren ist. Ein solches Verhalten ist infantil. Kinder wissen noch nicht, was in ihrer Macht steht und was nicht, deshalb glauben sie auch leicht an Zauber und Tricks, anstatt an rationales Vorgehen und fleißige Arbeit. Viele Erwachsene halten diese Ansicht aufrecht und was dabei herauskommt, das sehen wir in unserer Welt an allen Ecken und Enden. Esoterikschrott, Wahrsagerei, Feng Shui, Pendeln, Reiki, Yoga und unzählige andere irrationale Praktiken, haben Hochkonjunktur. Es gibt nur eine Möglichkeit dagegen anzugehen und das ist vollständig zu reifen, zu einer erwachsenen vollmenschlichen Person, dann fallen die Menschen nicht mehr in die für sie bereit gestellten Fallen. Hierzu ein sehr zu empfehlender Link: http://blog.psiram.com.

 
Die Angst vor der Freiheit
Erich Fromm schrieb einst, dass die größte Furcht des Menschen, jene vor der Freiheit sei. Und zwar gilt das völlig unabhängig davon, ob jemand für sich den Wert der Freiheit in Anspruch nimmt oder nicht. Es waren nicht selten gerade die großen „Freiheitshelden“, die sie nicht aushalten konnten, als sie sie errangen und daraufhin ein neues Zwangssystem errichteten. Die ganze Menschheitsgeschichte ist voll von solchen Erfahrungen. Noch nie hat eine Revolution wirklich Freiheit gebracht. Wie auch? Die Angst vor der Freiheit lässt sich nicht durch politische Umstürze erreichen, sondern nur durch die Änderung des menschlichen Wesens selbst. Und hier ist die Kindheit die kritische Phase. „Gebt mir ein Kind bis zum sechsten Lebensjahr, dann bekommt ihr den Erwachsenen zurück.“, hieß es bei den Jesuiten. Bis dahin hat man das Kind ausreichend geprägt, um einen „erwünschten Charakter“ aus ihm zu machen. Wer die Gewalt über ein Kind in den ersten Lebensjahren hat, der besiegelt dessen Schicksal für sein ganzes Leben.

Alice Miller, die große „Kindheitsforscherin“, hat in über zehn Büchern darauf hingewiesen, wie Kinder „geformt“ werden, wie die „schwarze Pädagogik“ ganze Generationen von Menschen untauglich zu Kreativität und Natürlichkeit gemacht hat, wie „Dressur“ wichtiger war, als Glück und das wahre Wesen eines Menschen. Nur leider ist die schwarze Pädagogik noch lange nicht am Ende angelangt, im Gegenteil. Zwar hat sich die Gewalt im körperlichen Bereich reduziert, doch die psychische Gewalt gegen Kinder hat in erschreckendem Ausmaß zugenommen. Und das gilt nur für die Länder der westlichen Welt (es ist eine Schande, dass immer noch einige amerikanische Bundesstaaten körperliche Strafen in Schulen erlauben!). Betrachtet man die globale Situation, dann zeichnet sich ein noch weitaus düstereres Bild. Das Leben an sich wird an den meisten Orten der Welt nicht besonders hoch geschätzt und das Leben eines Kindes ist das Geringste von allen. Hier sehen wir deutlich die Perversion dieser Welt: Anstatt das Leben der Kinder als das höchste und wertvollste zu betrachten, wird es mit Füßen getreten. Kranke Seelen entstehen von Generation zu Generation aufs Neue und diese fatale Tradition findet niemals ein Ende, wenn nicht interveniert wird. Und diese Intervention kann nur von außen kommen, beginnend mit der Bewusstmachung des Übels. Die Menschen müssen einsehen, was mit ihnen geschehen ist, als sie Kinder waren und den Schmerz und die Demütigung spüren lernen.

Astrid Lindgren erzählte einmal eine Geschichte von einem Kind, das von seiner Mutter bestraft werden sollte. Es sollte in den Garten hinausgehen, um eine Rute oder einen Stecken zu holen, mit dem ihm der Hintern versohlt werden sollte. Doch das Kind konnte keinen finden, also nahm es einen Stein und gab ihn der Mutter. Das Kind übergab der Mutter den Stein und sagte, sie soll es damit schlagen. Da traten der Mutter die Tränen in die Augen, denn nun wurde ihr bewusst, was sie eigentlich tat. Erst jetzt begriff sie, dass sie dabei war das Kind zu quälen, ihm Schmerzen zu bereiten. So geht es vielen Eltern, die ihre Kinder so bestrafen, wie sie selbst als Kinder bestraft wurden: Ihnen ist nicht mehr klar, dass sie verletzen, sie glauben es sei ein gutes und notwendiges Verhalten. Erst wenn die Gefühle ausgedrückt werden dürfen, die als Kind nicht erlaubt war, dann kann man Heilung erfahren. Es gibt Menschen, die stolz darauf sind, dass sie es geschafft haben nicht zu weinen, als sie als Kinder bestraft wurden (das berühmteste Beispiel dafür ist Hitler). Wie sehr muss ein Kind verformt werden, dass es sein Leben und seine Gesundheit nicht mehr zu schützen versucht und seinen Schmerz nicht mehr ausdrücken möchte? Später kann diese Art von Gefühl gar nicht mehr empfunden werden und das führt nicht selten zu einem Überlegenheitsgefühl (Nietzsches „Übermensch“ lässt grüßen!).

Die schlimmsten Auswüchse sahen wir in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts. Ohne autoritätshörige Erziehung wären Menschen niemals in der Lage gewesen ihren Verstand auszuschalten und über andere Menschen wie Bestien herzufallen. Bildung nützt in dieser Angelegenheit nichts, denn gerade die Intellektuellen waren oft die fanatischsten Anhänger der Diktatoren. Intelligenz kann nur dann zur Befreiung führen, wenn sie mit Menschlichkeit, mit Werten gepaart wird und diese Werte dürfen nicht korrupt sein. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen: Alle Werte, die der Schöpfung und dem Leben dienen sind gut, alle Werte, die der Zerstörung und dem Tod dienen sind schlecht. Erst wenn Bildung der Befreiung dient und nicht der Aufrechterhaltung der Autorität, dann können wir einen Schritt vorwärts machen.

Nie hat die Gesellschaft das Böse in der Erziehung der Kinder gesucht. Es ist einfach nicht wahr, dass das Böse in der menschlichen Natur zu suchen ist. Und alle Systeme, die dies behaupten sollten von der Welt verschwinden und als das bloß gestellt werden was sie sind: Korruption und Lügen! Die Ansicht, dass in der menschlichen Natur Böses sei, erschafft damit gerade das Böse, das angeblich immer bekämpft werden muss. Das trifft nicht nur auf politische Ideologien und Systeme zu, sondern auch auf dem Bereich der Religionen. Der Mensch hat das Potenzial böse zu handeln, das heißt aber nicht dass das Böse bereits manifest in ihm wäre. Denn der Mensch kann auch gut handeln. Es kommt darauf an, welche Samen im Geiste eines Menschen genährt werden; davon alleine hängt alles ab!

Gerade auch im religiösen Bereich gibt es eine unglaubliche Angst vor der Freiheit. Manche glauben tatsächlich, sie lästerten Gott, wenn sie ihre Sinne und ihren Verstand gebrauchten und zu Ergebnissen kommen, die von einer der „Heiligen Schriften“ abweicht. Solche Menschen sind so autoritätshörig, dass sie lieber verrückt werden, als wirklich hinzuschauen. Zwei und zwei ist dann auf einmal nicht mehr vier, sondern fünf. Dieses Denken macht dumm und diese Dummheit wird dann auch noch geheiligt, als „Treue“ gegenüber der Gottheit. Hinter vernünftigen Gedanken steckt dann der Teufel, der „Herr der Welt“, Gerade was das Christentum betrifft, ist diese Ansicht der größtmögliche Unsinn. Ich weiß wenig darüber zu sagen, wie es in anderen Religionen aussieht, aber das Christentum ist mir bekannt, weil ich selbst in einer christlich geprägten Kultur aufgewachsen bin und die Wege und Irrwege derselben untersucht habe. Das Christentum ist im Grunde keine dualistische Religion. Viel mehr hat es die Dichotomie von Gut und Böse überwunden. Die Ansicht es gäbe einen Kampf zwischen Gut und Böse geht nicht auf Jesus zurück, sondern kommt aus dem Manichäismus, der in der Antike sich vom Orient weit bis nach Europa hinein verbreitete und auch das Christentum teilweise unterwandert. Zu glauben der Teufel beherrsche die Welt, ist im Grunde blasphemisch. Gerade wer sich mit dem Christentum auskennt, muss zur Einsicht gelangen, dass das „Werk“ durch Jesus vollendet wurde. Die „Sünde“, das heißt vor allem die falsche Ansicht der Welt, die Verzerrungen des Geistes, sind entlarvt worden.

Sünde kommt vom Wort „Sund“ und bedeutet Graben oder Trennung. Sünde ist kein Verbrechen, sondern das Nicht-Verbunden-Sein mit Gott. Ein fatales falsches Verständnis des Konzeptes der Erbsünde, hat unendlich viel Leid über den Menschen gebracht. Es zementiert die Ansicht, dass das Böse bereits von Anfang an im Menschen vorhanden sei, also so, wie wenn es bereits im Gencode enthalten wäre. In Wahrheit ist die Erbsünde genau, das was den Menschen von seiner wahren Natur (Gott) trennt, nämlich die korrupte Erziehung, die seit jeher jede menschliche Gesellschaft vergiftet hat. Niemals kann damit gemeint sein, das Kind sei von sich aus von seiner Natur getrennt. Das geschieht erst durch die Formung durch die Eltern und die Gesellschaft. Die Korruption, die vom ersten Lebenstag eines Neugeborenen in sein Leben eingreift, ist die wahre Erbsünde. (Es ist heute auch nicht mehr theologische Lehre zu glauben die Erbsünde alleine würde in die Hölle führen. Die Taufe nimmt die Erbsünde hinweg, doch das nicht-getaufte Kind, das stirbt ist nicht verdammt. Jedes Lebewesen hat seine eigene Chance von Gott bekommen, keines muss für die Sünden der Eltern büßen – Gott ist gerecht, das dürfen wir nicht vergessen!).

Vielleicht besteht für die Menschheit als Ganzes wirklich keine Hoffnung darauf, jemals den Genuss der wahren Freiheit zu erleben. Doch für den einzelnen ist dies durchaus möglich, insbesondere in den westlichen Gesellschaften, die einem solchen Bestreben zwar nicht direkt zugeneigt sind, aber trotzdem genug Spielraum bieten, dass der einzelne sein Potenzial finden und ausleben kann. Das sollte Ansporn genug sein, sich seine Kindheit anzuschauen. Der Preis, der zu bezahlen ist, ist gering im Verhältnis zum Lohn, ein wahrhaft selbstverwirklichendes Leben, ein Leben nicht im Haben, sondern im Sein führen zu können!

 
Ziel dieses Blogs
            Die Vision dieser Seite ist es einen Beitrag dazu zu leisten an der Entwicklung einer Menschheit zu arbeiten für die Krieg, Krankheit und Leid Relikte der Vergangenheit sind, Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Konflikte werden nicht durch Schweigen oder Kopf-in-den-Sand-stecken beseitigt oder gar gelöst, auch nicht durch das Austragen von Kriegen und anderen Arten der offenen Aggression, sondern durch die Erfüllung der Interessen, aller Beteiligten. Die einzig befriedigenden Lösung die denkbar ist, ist die vollständige Erfüllung der wahren menschlichen Bedürfnisse (die nicht notwendigerweise mit den Wünschen übereinstimmen): die ideale und oft gepriesene Win-Win-Situation. Viel zu wenig wurde bisher in der Menschheitsgeschichte eben darauf geachtet. In Zukunft soll dies anders werden und diese Seite möchte einen Beitrag dazu leisten. Wenn unsere Nachfahren einstmals mit Erstaunen auf ihre Altvorderen blicken werden und sich die Frage stellen, wie wir Umstände wie Hass, Krankheit und Verderben als Teil des gewöhnlichen Lebens ansehen konnten, dann ist die Aufgabe erfüllt, zu der diese Seite beitragen möchte.

 
*Sokrates ist Gründer und Herausgeber von Strategos 21.

Montag, 15. Oktober 2012

Kommentar: Ein nobleres Verständnis der menschlichen Natur

                                          Was bisher geschah

Dr. Mannheimer*
          Sehen wir uns die klassischen Vorstellungen davon an, was der Mensch über den Menschen gedacht hat, so ist das, was wir über uns selbst und unser angeblich „wahres Wesen“ auszusagen hatten alles andere als ein Ruhmesblatt. Hatten die alten Griechen noch ein nobleres Verständnis von sich selbst, sofern sie männlich und gebildet waren, ebenso wie die Römer, sofern sie der Aristokratie entsprangen, so wurde mit den Unterwerfungsreligionen, zu denen auch das Christentum gehört, ein ängstlicher orientalischer Sklavengeist über Europa gestülpt, der den Menschen als von Natur aus sündhaft und damit als schlecht ansah. Nicht nur Nietzsche verabscheute diese alte Sicht des Menschen; doch er selbst wollte nur einigen wenigen ein besseres Wesen zugestehen und schloss sich, trotz aller Kritik, den Pessimisten und Schuldpredigern an, die im gemeinen Menschen nicht mehr zu vernehmen vermochten, als dass er als Humus für einen höheren Menschen dienen sollte, der erst noch im Entstehen begriffen war und dessen Vorläufer einige wenige Lichtgestalten der menschlichen Geschichte bildeten.

            Modernere Interpreten, wie etwa Sigmund Freud, sahen als die wesentlichen Bestrebungen des Menschen Aggression und Sex an: ebenso wenig etwas, das uns zum Ruhme gereichen würde. Sein von ihm abgefallener Schüler Alfred Adler erblickte im Minderwertigkeitsgefühl einen wesentlichen Teil der menschlichen Natur.

            Wie immer man auch an die Frage nach dem wahren Wesen des Menschen herangehen mag, es ist diese eine außerordentlich schwierige Frage, nicht nur deshalb, weil der Betrachter selbst ein Mensch ist und man ihm insofern ein gewisses Maß an Befangenheit vorwerfen könnte. Wir alle sind Teil der Zeit in der wir leben und so ist auch unser Menschenbild zeitgebunden. Was das Wesentliche des modernen Menschen darstellt, ist paradoxerweise gerade vom modernen Menschen selbst nicht erfassbar, egal wie klug er oder sie auch sein mag. Es wird der Geschichte überlassen sein ein brauchbares Urteil über den Menschen von heute zu fällen. Die Frage nach der Natur des Menschen an sich ist jedoch eine andere und sofern es in diesem Wesen eine Entwicklung gibt, wovon ihm Rahmen der Evolution in jedem Fall auszugehen ist, so scheint sie doch sehr langsam voranzuschreiten, so dass wir davon ausgehen können, dass der historische Menschen, also jener Mensch, wie wir ihn seit den frühesten Aufzeichnungen der Geschichtsschreibung her kennen (seit etwa 5000 Jahren) sich im Wesentlichen nicht verändert hat und deshalb auch mit Fug und Recht auf alles uns vorliegende Material zurückgreifen können, das uns vorliegt, um diese entscheidende Frage zu beantworten oder eine Antwort nahe zu kommen.

So sehen wir durch die Geschichte hindurch das bereits oben geschilderte negative Menschenbild, das sich traditionell, ebenso wie das Weltbild aus dem Metaphysischen ableitet. Unter dieser Grundlegenden Voraussetzung spielt es keine Rolle, ob wir es mit einer monotheistischen, einer polytheistischen oder eine Naturreligion zu tun haben. Wenngleich nicht alle traditionellen Menschenbilder negativ waren, so beruhte doch keines auf der Wissenschaft, wie wir sie im modernen Sinne verstehen. Die Natur des Menschen war mehr den Vorstellungen, den Mythen und der Philosophie vorbehalten und stütze sich, wenn überhaupt nur selektiv auf empirische Studien. Auch die Wissenschaft blieb lange Zeit in dem Fahrwasser, dass ihr von den geistigen Strömungen der Tradition vorgegeben war und wagte sich nur allmählich ins Neuland der Erkenntnis vor. Es war einfacher und auch weniger gefährlich im sozialen Sinne, sich mit der toten Materie zu beschäftigen, allenfalls noch mit Tieren und Pflanzen, als sich dem Menschen in seiner ganzen Fülle zu nähern. Gedanken und mehr noch Gefühle galten lange Zeit als chaotisch, konfus und schwer zu erfassen. Exakte Wissenschaften scheuten davor zurück und man überließ es vorerst weiter den Philosophen und Medizinern und später auch den Psychologen sich damit zu befassen. Es ist erstaunlich wie wenig sich der Mensch um den Menschen gekümmert hat, möchte man doch meinen, dass er doch mit Montaigne längst erkennen hätte müssen, dass es kein interessanteres, herausforderndes Studium geben könnte, als eben jenes von uns Menschen! Dunkel war darum eben auch das Menschenbild, von Mythen und Aberglauben durchsetzt. Doch mit dem Voranschreiten und dem schwindenden Einfluss der Religionen, kam mehr Licht in die Natur des Menschen und verbesserten sich auch sukzessive die Bedingungen des menschlichen Lebens.

Bereits in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts hat der große österreichische Mediziner und Psychoanalytiker Wilhelm Reich eine Theorie über die Natur des Menschen auf gestellt und ihn als ein Wesen aus drei Schichten beschreiben:
An der Oberfläche trägt er die künstliche Maske der Selbstbeherrschung, der zwanghaft unechten Höflichkeit und der gemachten Sozialität. Damit verdeckt er die zweite Schicht darunter, das Freudsche „Unbewusste“, in dem Sadismus, Habgier, Lüsternheit, Neid, Perversion aller Art, etc. in Schach gehalten sind, ohne jedoch das Geringste an Kraft einzubüßen. Diese zweite Schicht ist das Kunstprodukt der sexualverneinenden Kultur und wird bewusst meist nur als gähnende Leere und Öde empfunden. Hinter ihr, in der Tiefe, leben und wirken die natürliche Sozialität und Sexualität, die spontane Arbeitsfreude, die Liebesfähigkeit. Diese letzte und dritte Schicht, die den biologischen Kern der menschlichen Struktur darstellt, ist unbewusst und gefürchtet. Sie widerspricht jedem Zug autoritärer Erziehung und Herrschaft. Sie ist gleichzeitig die einzige reale Hoffnung, die der Mensch hat, das gesellschaftliche Elend einmal zu bewältigen. (Wilhelm Reich, „Die Entdeckung des Orgon – Die Funktion des Orgasmus, Kiepenheuer & Witsch, 9. Auflage 2009, S. 175f).

Reich geht also von einer Dreiteilung aus. Die oberflächliche Schicht, die der Mensch seinen Mitmenschen zeigt, ist wohlbekannt und seit jeher als „Maske“ oder „Schauspiel“ durchschaut worden (Goethe und Shakespeare sahen gleichermaßen im Menschen einen Schauspieler, der auf der Bühne des Lebens viele Rollen spielt). Mit Freud kam die Aufdeckung der darunter liegenden Schicht, die Übel und allerlei Ekelhaftes ans Tageslicht brachte, all jene Dinge, die die Menschen nicht sehen wollten. Im traditionellen Sinne hätte man diesen Bereich als „Sünde“ bezeichnet. Was jedoch das besondere Verdienst Reichs war, war, dass er tiefer grub als Freud, dass er nicht beim „Unbewussten“ haltmachte, sondern darunter eine Natürlichkeit und Bescheidenheit entdeckte, die unerschütterlich ist und die alles vergessen macht, was der Mensch darüber gelegt haben mag.

            Die Humanistische Psychologie hatte einige bemerkenswerte Erfolge, gerade ab den späten 50er Jahren vorzuweisen. Doch nicht allzu selten sah sie sich polemischen Vorwürfen ausgesetzt, sie sei oberflächlich und würde im Grunde nur ein Art Psychomarketing darstellen, ein geschickter oder in manchen Fällen ein nicht ganz so geschickter Versuch, im psychischen Bereich den Menschen das gute Leben zu verkaufen, wie es die Wirtschaft auf der materiellen Ebene täte. Nichtsdestotrotz haben sich einige herausragende Forscher wie etwas Eric Berne und Abraham Maslow damit beschäftigt, was der Mensch sein könnte. Sie entwickelten Konzepte, die fern der traditionellen Lehre, die sich vor allem mit der dunklen Seite des Menschen, mit dem Guten, mit dem Potenzial von uns allen beschäftigte und uns eine Vorstellung davon gegeben was ein freier, selbstbewusster glücklicher Mensch sein könnte. Abraham Maslow etwa beschreibt in seinem einzigartigen Werk „Motivation und Persönlichkeit“ Menschen, die es tatsächlich zu einem Maß an Erfüllung gebracht hatten, das weit jenseits dessen lag, was dem Normalbürger auch nur im Geringsten im Bereich des Möglichen erscheinen musste.


Einflüsse von außen
          Auch im Buddhismus gibt es die Ansicht, dass das Böse keine eigentliche Entität sei, kein Gegenpol zum Gutem, sondern das verkrüppelte Gute. Wenn das Gute sich nicht entfalten kann, weil ihm sein freies Aufblühen verwehr wird, dann degeneriert es und tritt uns als das entgegen, was wir als Böse bezeichnen. Es deutet immer mehr darauf hin, gerade aus der modernen Wissenschaft, und hier sei besonders die Quantenphysik genannt, dass die fundamentale Wahrheit aller Dinge eine Einheit und kein Dualismus ist. Dem Guten steht kein Böses entgegen, dieses ist nämlich nicht aus sich selbst heraus existent, sondern lediglich eine fehlgeleitete gute Absicht (übrigens ist auch das Christentum keine dualistische Religion. Gott herrscht alleine, es gibt keinen Gegenspieler, wie etwa den Teufel. Solches zu behaupten wäre manichäisch, nicht christlich). Man erkennt hier gerade auch den positiven Einfluss, den nichtwestliche Kulturen auf unseren Geist haben können, wie sie dazu beitragen können ein umfassenderes Verständnis der menschlichen Natur zu entwickeln.

Es gibt ja bekanntlich die Metapher vom Elefanten, der von einer Gruppe von Blinden befühlt wird und über den jeder eine andere Aussage macht. Der eine konzentriert sich auf die dicken Beine und meint ein Elefant bestünde aus dicken Beinen. Ein andere befühlt die riesigen Ohren und ist demzufolge davon überzeugt Elefanten hätten im Wesentlichen große Hörorgane. Wieder ein anderer meint Elefanten seien vor allem fest und glatt und hätten eine scharfe Spitze am Ende, was daher rührt, dass er sich auf die elfenbeinernen Stoßzähne konzentriert. Wie dem auch sei, der einzige, der etwas über das Aussehen eines Elefanten machen kann, und zwar in seiner Gesamtheit, ist jener, der ihn mit tauglichen Augen als Ganzes sehen kann. Nun kann keiner von uns behaupten in eben jener Position zu sein und es wäre eine unverantwortliche Hybris etwas in einer Art „Hyper-„ oder „Weltreligion“  oder „-philosophie“ davon auszugehen, dass man eben dazu und er Lage sei, ganz im Sinne, dass alle irgendwo Recht hätten, dass man die verschiedenen Glaubenssätze eben nur zusammenführen müsse. Trotzdem dürfen wir uns nicht verschließen vor jenen Einsichten, die andere Kulturen seit vielen Jahrhunderten oder in manchen Fällen sogar Jahrtausenden gemacht haben. Soviel dazu.

 
Menschliche Bestrebungen
Auch wenn wir uns die menschlichen Bestrebungen ansehen, so entdecken wir im Grunde immer gesunde Bedürfnisse. Selbst der Verbrecher versucht ein vernünftiges und gutes Bedürfnis zu befriedigen, seine Art dies zu tun ist verbrecherisch, nicht sein eigentliches Bestreben. So gelangen wir sehr bald zu der Einsicht, dass dem Menschen an sich nichts Böses innewohnt. Wenn er jedoch entmutigt ist und seine Bedeutung nicht in der Welt spürt, dann ist die einfachste Art sich Signifikanz zu verschaffen eben jene, einem anderen Menschen durch Drohung oder tatsächliche Gewalt eine solche abzupressen.

 
Die Situation heute
            In den letzten zwei Jahrzehnten jedoch hat sich glücklicherweise auf dem Gebiet der Psychologie einiges getan, was Anlass zu großer Hoffnung gibt. Die positive Psychologie hat sich aus einem Nischendasein zu einer ernstzunehmenden Strömung entwickelt, die nicht einfach dem Zeitgeist entspringt, sondern etwas Substanzielles, etwas Verlässliches darstellt, auf dem zukünftige Forscher aufbauen können und das das Potenzial beinhaltet zu einer wahrhaften Verbesserung des Lebens aller Menschen auf dem Planten beizutragen. Denn das sollte das Ziel von uns allen sein: Spuren in der Welt zu hinterlassen und das Dasein unserer Mitmenschen verbessert zu haben; die Welt in einem besseren Zustand vorzufinden, wenn wir sie verlassen, als sie sich befand, als wir geboren wurden!

            Das ist eine ermunternde Entwicklung im Westen, dass gerade unsere Psychologie, die neueste Forschung betreffend, in eine ganz andere Richtung weist, als dies die althergebrachte Tradition getan haben. Wir befinden uns mitten in einer Revolution, was das Verständnis unser selbst betrifft. Ein relativ wenig bekannter Mann namens Ian Suttie („The origines of love and hate“) hat hier Pionierarbeit geleistet. Leider verstarb er allzu früh, doch sein Schüler, John Boldy (bekannt in der Kinderpsychologie) führte seine Arbeit fort und sorgte auch für die Veröffentlichung der Forschungsarbeit seines Lehrers. Suttie beschäftigte sich intensiv mit der Entwicklung von Kindern und seiner Überzeugung nach ist nicht das Streben nach Macht, Lust oder Aggression das wesentliche Bestreben des Menschen, sondern jenes nach Gemeinschaft mit anderen. Dies zeigt sich in der gesunden, intimen Beziehung zwischen einer liebevollen Mutter und ihrem Baby. Diese Beziehung ist als das Ideal und als Modell für alle intimen Beziehungen zwischen Menschen anzusehen. Es gilt deshalb:

Die Ansicht, dass der Mensch sündhaft sei, ist falsch und nicht mehr aufrecht zu erhalten!

Nicht zuletzt die Neurowissenschaften zeigen uns mit ihren Untersuchungen von kranken und gesunden Gehirnen (vor allem durch Messungen von Gehirnaktivitäten durch SPECT-Scans), dass der gesunde Mensch auch ein sozialer, liebevoller, netter Mensch ist, der fern des Bösen lebt. Es sind die kranken Gehirne, die am meisten Schaden anrichten, aber Kranksein ist nicht die Natur des Menschen, sondern die Gesundheit. Wenn man den Begriff Sünde doch noch verwenden möchte, dann darf dies nicht im moralischen Sinne geschehen, sondern hat sich daran zu orientieren, dass damit ein unnatürlicher Zustand gemeint ist, wie immer dieser auch entstanden sein mag.

            Der Glaube an den Menschen ist keineswegs gegen Gott gerichtet, wie manche religiösen Menschen uns glauben machen wollen. Humanismus und Theismus sind wunderbar miteinander vereinbar. Was den Christen betrifft, so sei hier an das wichtigste Gebot erinnert, dass Jesus seinen Jüngern gegeben hat: Gott und seinen Mitmenschen zu lieben – und beide Gebote sind einander gleich.  Nicht indem wir einen Gott außerhalb dieser Welt anbeten dienen wir ihm (oder ihr, es etc.), sondern indem wir ihn in unserem Nächsten ehren, erfüllen wir seinen Willen. Aber auch für Nichtchristen und Menschen, die jede Metaphysik, mitsamt ihren Begriffen und Vorstellungen, ablehnen, zeigt sich hier eine Grundlage, die nicht von der Hand gewiesen werden kann. Ja mehr noch, hier bietet sich die Möglichkeit, dass alle Menschen, auch die Atheisten und Agnostiker, eine gemeinsame Basis finden, eine Basis auf der Frieden, Harmonie, Gerechtigkeit gedeihen können, für eine Welt in der den alten Sicherheit und den jungen eine Zukunft geboten wird.

            Wir dürfen eines niemals vergessen: Den Menschen zu studieren mag auf einer oberflächlichen Stufe dazu führen seine Natur zu verachten, doch je tiefer man in die Materie eindringt, desto wunderbarer, desto erhabenerer wird die Anschauung, die wir von ihm gewinnen und desto umfassender wird die Liebe zu uns selbst und zu unseren Mitmenschen. Das Studium des Menschen dient in seinem höchsten und letzten Zweck dazu das Leben von uns allen zu bereichern und zu verbessern und damit dem Lebendigen im Allgemeinen, nicht nur im Menschen selbst, zu dienen.

           
* Dr. Mannheimer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Philosophie, Psychologie und der menschlichen Natur. Er ist Humanist, Philanthrop und bezeichnet sich selbst als „begeisterten Europäer“.