Montag, 8. Oktober 2012

Warum betreibt der Mensch Philosophie?

Es ist dies eine Frage, die erstaunlicherweise viel seltener gestellt wird, als man denken möchte, insbesondere, und das verwundert doch nicht wenig, von den Philosophen selbst. Es scheint, als ob das Philosophieren, das ja nur allzu oft mit dem Denken selbst verwechselt wird, eine Selbstverständlichkeit wäre, etwas das man eben tut, „weil man es eben tun sollte“. Doch warum man es tun sollte, ist schon viel weniger klar und oft auch, wozu das Ganze dienen soll. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, doch trotzdem relativ selten, dass der Mensch im Leben einer Sache um ihrer selbst willen nachgeht. In der Regel ist menschliches Verhalten motiviert und das trifft auf den geistigen, ebenso wie auf jeden anderen Bereich des Leben zu. Rein expressives Verhalten gehört zweifelsohne zu den beglückend- und erfüllendsten Tätigkeiten im Leben. Gewisse Dinge absichtslos zu betreiben, gehört unabdingbar zu einem guten Leben, Doch nur wenige können ein Interesse an einer Sache aufbringen, die sich nicht ins Hauptbuch ihrer Ziele und Ambitionen eintragen lässt – gerade in unserer Zeit sind Zeitgenossen, die solches können, sehr selten geworden – wahrscheinlich liegt darin einer der Gründe für das Unglück, das die meisten Menschen mehr oder weniger in ihrem Leben empfinden – ein Dasein in stiller Verzweiflung. Es soll hier dieser Ausnahmefall des Betreibens der Philosophie um ihrer selbst willen ausgeklammert werden und der Blick auf die zweckmäßige Tätigkeit gelegt werden.
 
Ich möchte hier vier mögliche Antworten darauf geben, warum der Mensch Philosophie betreibt.
 
1.)    Die Philosophie ist dazu da den Menschen zu befähigen sein Glück und seine Erfüllung zu verwirklichen.
Das ist eine klassische Position von Menschen, die philosophieren, zu allen Zeiten vertreten haben. Es war das Ideal der Antike, das gute Leben anzustreben, wobei dieses gute gleichbedeutend mit einem tugendhaften Leben gesetzt wurde. Das Gute, das Schöne und das Wahre bildeten nach Platon eine Einheit. Es wurde davon ausgegangen, dass der Mensch glücklich werden könne, weil er denken kann. So richtig diese Ansicht auch ist, so zeigt sie doch nur die halbe Wahrheit auf. Denn das Gegenteil ist ebenso wahr. Es war Michel de Montaigne, der als erster darüber schrieb, dass gerade die Denkfähigkeit des Menschen zur Quelle seines Unglücks werden kann. Völlig unabhängig von den äußeren Umständen, kann der Mensch alleine durch sein Denken sowohl glücklich, als auch unglücklich werden. Auf eine Sache ist hier noch hinzuweisen: Untersuchungen und Befragungen von Menschen über ihr subjektives Glücksempfinden, haben über viele Jahrzehnte hinweg gezeigt, dass es kaum einen Zusammenhang zwischen dem wahren Wohlbefinden des Menschen und seiner Meinung über seinen eigenen Glückszustand gibt. Menschen sind sehr robuste Lebewesen und auch wenn es ihnen objektiv schlecht geht, tendieren sie dazu sich eher als glücklich, denn als unglücklich einzustufen. So ist es nicht verwunderlich, dass das Glücksempfinden nach eigenen Angaben, bei fast allen Menschen weitaus größer ist, als es ihrem Seelenzustand entspricht. Man sieht daran auch sehr deutlich, wie sehr die Meinung der Menschen über sich selbst von äußeren Glücksvorstellungen dominiert wird und wie wenig Selbsterkenntnis homo normalis besitzt. Zudem kommt ein starker sozialer Druck hinzu, der von der Ansicht kommt, dass sozialer Status mit Glück zusammenhängt. Wer wenig Glücksempfinden zeigt, gilt als  auf der unteren Skala der sozialen Wertigkeit angesiedelt. Auf der anderen Seite gibt es auch starke psychologische Gründe dafür, dass Menschen sich einreden glücklich zu sein und bald selbst daran glauben. Denn wenn es im Leben nicht zumindest eine kleine Hoffnung auf eine Besserung des eigenen Leben gibt, warum sollte man dann überhaupt weiter leben?
Die Philosophie hat nun die Aufgabe den Menschen das richtige Denken zu lehren, vor allem das richtige Denken in Bezug auf sich selbst. Denn wenn einer nicht geschult darin ist über sich selbst nachzudenken, dann dreht man sich ständig im Kreis und wird leicht depressiv oder melancholisch. Die Philosophie soll uns lehren uns selbst so zu sehen, wie wir andere sehen und so objektivere Urteile zu fällen und zu erkennen, was wir tun müssen, um eine Besserung herbeizuführen.
 
2.)    Die Philosophie dient dazu den Menschen zu befreien, frei von allen Dingen und frei von der Angst, vor allem von jener vor dem Tod, zu machen.
Das richtige Denken soll den Menschen unabhängig von der Kultur und der Meinung anderer machen. Wenn wir richtig denken können, dann gewinnen wir allmählich Vertrauen in unsere eigenen Urteile und befinden uns nicht mehr im Zweifel, wenn andere uns widersprechen. Wir können dann Meinungen auch dann vertreten, wenn wir keinerlei Zustimmung von irgendeinem anderen erhalten. Wissen dieser Art macht auch frei von Angst. Philosophie hat auch sehr viel mit einem gestählten (aber nicht unsensiblen) Geist zu tun. Zu philosophieren heißt auch den Tod zu überwinden, es ist die Kunst sterben zu können noch ehe man lebt, um sein Leben auf eine ganz neue Art wiederzuerhalten, dieses Mal jedoch ohne sich vor dem (physischen) Tod noch im geringsten zu fürchten. Beispiele für todesmutige Philosophen waren Sokrates und Seneca, die beide für ihre Überzeugung, die Wahrheit, starben, ohne zu lamentieren oder auch nur im geringsten einen Versuch zu unternehmen ihr Leben zu retten, auch wenn dies (zumindest in Sokrates Fall) leicht möglich gewesen wäre.
 
3.)    Die Philosophie hat den Zweck die Seele des Menschen zu formen.
Philosophie ist weit mehr als die Schulung des Denkens eines Menschen. Gerade der Charakter spielt eine ganz zentrale Rolle, denn so gut die kognitiven Fähigkeiten auch sein mögen, ohne eine entsprechende Tugendhaftigkeit, sind geistige Höchstleistungen nicht möglich. Charakter und Denken gehen Hand in Hand, ja der Charakter hat den Vorrang der beiden, denn des Menschen Charakter ist sein Schicksal. Menschen „gut“ zu machen, ist ebenso des Philosophen, wie des Theologen Anliegen. Beide dienen damit der Menschheit und Gott, sofern man an diesen glaubt.
 
4.)    Das Ziel der Philosophie ist die Wahrheit zu finden. Insofern gleicht sie dem Glauben.
Die Suche nach der Wahrheit ist das höchste und edelste Bestreben der Philosophie. Aber gerade dieser vierte Punkt ist derjenige, der in unserer Zeit am meisten angegriffen wird und deshalb nicht wenige moderne Philosophen dazu gelangt sind ,die Suche nach dieser Wahrheit, zumindest sofern es sich um eine Absolutheit handeln soll, aufzugeben. Die Suche nach der Wahrheit ist immer noch nicht passé und soll es auch niemals sein. Doch darf man nicht im Namen der Wahrheit Grausamkeiten an den Mitmenschen begehen. Die Wahrheit ist nichts, was einer besitzen kann (ebenso wie Gott), dass er quasi mit sich in der Tasche herumführen kann, um sie als Waffe gegen jeden anderen einzusetzen, der sich ihm widersetzt oder sich ob seiner Einsicht bewundern zu lassen. Mancher vermeintliche Verfechter der Wahrheit ist im Grunde ein Verfechter der Grausamkeit.
 
Auch ist mir hier wichtig festzustellen, dass Philosophie im Grunde keine „Elfenbeinturmbeschäftigung“ ist, sondern eine durch und durch praktische Wissenschaft ist. Auch die Leistung von Philosophen muss an der tatsächlichen Wirkung ihrer Gedanken in der Welt gemessen werden. Selbst der klügste Philosoph versagt, wenn er es nicht fertig bringt in den Geist anderer einzudringen und dort deren Denken zu verändern. Die Leistung der Philosophie als Ganze kann daran gemessen werden, wie gut sie die Menschen zum Denken bringen kann und wie sehr sich das tugendhafte Verhalten der Menschen in der Welt ausbreitet.
 
 

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