Es ist dies eine Frage, die erstaunlicherweise viel seltener
gestellt wird, als man denken möchte, insbesondere, und das verwundert doch
nicht wenig, von den Philosophen selbst. Es scheint, als ob das Philosophieren,
das ja nur allzu oft mit dem Denken selbst verwechselt wird, eine
Selbstverständlichkeit wäre, etwas das man eben tut, „weil man es eben tun
sollte“. Doch warum man es tun sollte, ist schon viel weniger klar und oft
auch, wozu das Ganze dienen soll. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, doch trotzdem
relativ selten, dass der Mensch im Leben einer Sache um ihrer selbst willen
nachgeht. In der Regel ist menschliches Verhalten motiviert und das trifft auf
den geistigen, ebenso wie auf jeden anderen Bereich des Leben zu. Rein
expressives Verhalten gehört zweifelsohne zu den beglückend- und erfüllendsten
Tätigkeiten im Leben. Gewisse Dinge absichtslos zu betreiben, gehört
unabdingbar zu einem guten Leben, Doch nur wenige können ein Interesse an einer
Sache aufbringen, die sich nicht ins Hauptbuch ihrer Ziele und Ambitionen
eintragen lässt – gerade in unserer Zeit sind Zeitgenossen, die solches können,
sehr selten geworden – wahrscheinlich liegt darin einer der Gründe für das
Unglück, das die meisten Menschen mehr oder weniger in ihrem Leben empfinden –
ein Dasein in stiller Verzweiflung. Es soll hier dieser Ausnahmefall des
Betreibens der Philosophie um ihrer selbst willen ausgeklammert werden und der
Blick auf die zweckmäßige Tätigkeit gelegt werden.
Ich möchte hier vier mögliche Antworten darauf geben, warum
der Mensch Philosophie betreibt.
1.) Die Philosophie ist dazu da den Menschen zu
befähigen sein Glück und seine Erfüllung zu verwirklichen.
Das ist eine klassische Position von Menschen, die philosophieren,
zu allen Zeiten vertreten haben. Es war das Ideal der Antike, das gute Leben
anzustreben, wobei dieses gute gleichbedeutend mit einem tugendhaften Leben
gesetzt wurde. Das Gute, das Schöne und das Wahre bildeten nach Platon eine
Einheit. Es wurde davon ausgegangen, dass der Mensch glücklich werden könne,
weil er denken kann. So richtig diese Ansicht auch ist, so zeigt sie doch nur
die halbe Wahrheit auf. Denn das Gegenteil ist ebenso wahr. Es war Michel de
Montaigne, der als erster darüber schrieb, dass gerade die Denkfähigkeit des
Menschen zur Quelle seines Unglücks werden kann. Völlig unabhängig von den
äußeren Umständen, kann der Mensch alleine durch sein Denken sowohl glücklich,
als auch unglücklich werden. Auf eine Sache ist hier noch hinzuweisen:
Untersuchungen und Befragungen von Menschen über ihr subjektives
Glücksempfinden, haben über viele Jahrzehnte hinweg gezeigt, dass es kaum einen
Zusammenhang zwischen dem wahren Wohlbefinden des Menschen und seiner Meinung
über seinen eigenen Glückszustand gibt. Menschen sind sehr robuste Lebewesen
und auch wenn es ihnen objektiv schlecht geht, tendieren sie dazu sich eher als
glücklich, denn als unglücklich einzustufen. So ist es nicht verwunderlich,
dass das Glücksempfinden nach eigenen Angaben, bei fast allen Menschen weitaus
größer ist, als es ihrem Seelenzustand entspricht. Man sieht daran auch sehr
deutlich, wie sehr die Meinung der Menschen über sich selbst von äußeren
Glücksvorstellungen dominiert wird und wie wenig Selbsterkenntnis homo normalis
besitzt. Zudem kommt ein starker sozialer Druck hinzu, der von der Ansicht
kommt, dass sozialer Status mit Glück zusammenhängt. Wer wenig Glücksempfinden
zeigt, gilt als auf der unteren Skala
der sozialen Wertigkeit angesiedelt. Auf der anderen Seite gibt es auch starke
psychologische Gründe dafür, dass Menschen sich einreden glücklich zu sein und
bald selbst daran glauben. Denn wenn es im Leben nicht zumindest eine kleine
Hoffnung auf eine Besserung des eigenen Leben gibt, warum sollte man dann
überhaupt weiter leben?
Die Philosophie hat nun die Aufgabe den Menschen das
richtige Denken zu lehren, vor allem das richtige Denken in Bezug auf sich
selbst. Denn wenn einer nicht geschult darin ist über sich selbst nachzudenken,
dann dreht man sich ständig im Kreis und wird leicht depressiv oder
melancholisch. Die Philosophie soll uns lehren uns selbst so zu sehen, wie wir
andere sehen und so objektivere Urteile zu fällen und zu erkennen, was wir tun
müssen, um eine Besserung herbeizuführen.
2.) Die Philosophie dient dazu den Menschen zu
befreien, frei von allen Dingen und frei von der Angst, vor allem von jener vor
dem Tod, zu machen.
Das richtige Denken soll den Menschen unabhängig von der
Kultur und der Meinung anderer machen. Wenn wir richtig denken können, dann
gewinnen wir allmählich Vertrauen in unsere eigenen Urteile und befinden uns
nicht mehr im Zweifel, wenn andere uns widersprechen. Wir können dann Meinungen
auch dann vertreten, wenn wir keinerlei Zustimmung von irgendeinem anderen
erhalten. Wissen dieser Art macht auch frei von Angst. Philosophie hat auch sehr
viel mit einem gestählten (aber nicht unsensiblen) Geist zu tun. Zu
philosophieren heißt auch den Tod zu überwinden, es ist die Kunst sterben zu
können noch ehe man lebt, um sein Leben auf eine ganz neue Art
wiederzuerhalten, dieses Mal jedoch ohne sich vor dem (physischen) Tod noch im
geringsten zu fürchten. Beispiele für todesmutige Philosophen waren Sokrates
und Seneca, die beide für ihre Überzeugung, die Wahrheit, starben, ohne zu
lamentieren oder auch nur im geringsten einen Versuch zu unternehmen ihr Leben
zu retten, auch wenn dies (zumindest in Sokrates Fall) leicht möglich gewesen
wäre.
3.) Die Philosophie hat den Zweck die Seele des
Menschen zu formen.
Philosophie ist weit mehr als die Schulung des Denkens eines
Menschen. Gerade der Charakter spielt eine ganz zentrale Rolle, denn so gut die
kognitiven Fähigkeiten auch sein mögen, ohne eine entsprechende
Tugendhaftigkeit, sind geistige Höchstleistungen nicht möglich. Charakter und
Denken gehen Hand in Hand, ja der Charakter hat den Vorrang der beiden, denn
des Menschen Charakter ist sein Schicksal. Menschen „gut“ zu machen, ist ebenso
des Philosophen, wie des Theologen Anliegen. Beide dienen damit der Menschheit
und Gott, sofern man an diesen glaubt.
4.) Das Ziel der Philosophie ist die Wahrheit
zu finden. Insofern gleicht sie dem Glauben.
Die Suche nach der Wahrheit ist das höchste und edelste
Bestreben der Philosophie. Aber gerade dieser vierte Punkt ist derjenige, der
in unserer Zeit am meisten angegriffen wird und deshalb nicht wenige moderne
Philosophen dazu gelangt sind ,die Suche nach dieser Wahrheit, zumindest sofern
es sich um eine Absolutheit handeln soll, aufzugeben. Die Suche nach der Wahrheit
ist immer noch nicht passé und soll es auch niemals sein. Doch darf man nicht
im Namen der Wahrheit Grausamkeiten an den Mitmenschen begehen. Die Wahrheit
ist nichts, was einer besitzen kann (ebenso wie Gott), dass er quasi mit sich
in der Tasche herumführen kann, um sie als Waffe gegen jeden anderen einzusetzen,
der sich ihm widersetzt oder sich ob seiner Einsicht bewundern zu lassen. Mancher
vermeintliche Verfechter der Wahrheit ist im Grunde ein Verfechter der
Grausamkeit.
Auch ist mir hier wichtig festzustellen, dass Philosophie im
Grunde keine „Elfenbeinturmbeschäftigung“ ist, sondern eine durch und durch
praktische Wissenschaft ist. Auch die Leistung von Philosophen muss an der
tatsächlichen Wirkung ihrer Gedanken in der Welt gemessen werden. Selbst der klügste
Philosoph versagt, wenn er es nicht fertig bringt in den Geist anderer
einzudringen und dort deren Denken zu verändern. Die Leistung der Philosophie
als Ganze kann daran gemessen werden, wie gut sie die Menschen zum Denken
bringen kann und wie sehr sich das tugendhafte Verhalten der Menschen in der
Welt ausbreitet.
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