
Im Roman erleidet der Seemann Robinson Crusoe Schiffbruch
und wird als einziger Überlebender an den Strand einer Insel im Atlantik gespült,
die, wie sich herausstellen sollte, unbewohnt war. Schnell bringt er noch so
viele Vorräte und Ausrüstungsgegenstände wie möglich vom auf das Riff vor der
Insel aufgelaufenen Schiff, bevor dieses endgültig vom Meer verschlungen wird. Er
erkundet die Insel, baut sich eine Unterkunft, lernt jagen und fischen und baut
sogar ein Boot, mit dem er versucht die Insel zu umrunden – leider erfolglos.
Nach Jahren trifft er dann auf Kannibalen und rettet eines ihrer Opfer aus
deren Fängen: dieses, der Eingeborene, den Robinson Freitag tauft, wird
sein bester Freund und Gefährte auf der Insel für viele Jahre. Nach 27 Jahren
lässt Defoe seinen Helden von einem englischen Schiff retten und zurück in die
Heimat bringen. Das ganze soll sich in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts
abgespielt haben. Soweit die Geschichte, doch wie sah es mit der Wirklichkeit
aus?
Was die wenigsten wissen ist, dass der Roman Robinson
Crusoe in seinem Kern auf Tataschen beruht, auf den wirklich
erlebten Abenteuern eines schottischen Seemanns, der völlig abgeschieden von
jeder Zivilisation, ja von jeder Menschenseele, fünf Jahre lang auf einer
einsamen Insel verbrachte. Defoes Roman beinhaltet sehr viele Details und ist
so packend geschildert, dass der Leser leicht zu der Ansicht gelangen kann,
hier berichte jemand über persönlich Erlebtes. Tatsächlich haben einige
Berichte von Gestrandeten und Gefangenen englischen Seeleuten den
Schriftsteller beim Schreiben seines Werkes beeinflusst.
Einige Jahre bevor Defoe seinen Bestseller schrieb trug
sich im Pazifischen Ozean eine faszinierende Geschichte zu, die auch als
Reisebeschreibung veröffentlich wurdn und zwar von einem englischen Kapitän, Woodes
Rogers, der mit seinem Schiff Duke 1709 einen einsamen Mann
europäischer Herkunft, es war der Schotte Alexander Selkirk, auf Inseln
einige hundert Meilen vor der südamerikanischen Küste gefunden und zurück nach
Britannien gebracht hatte. Dieser Seemann war zerlumpt und zeigte starke Spuren
von Verwilderung – von der „Zivilisation“ war bei ihm nicht mehr viel
festzustellen.
Die Geschichte Selkirks war abenteuerlich. 18jährig hatte
er im Streit sein Elternhaus verlassen und war zu See gegangen. Er heuerte auf
dem englischen Segler Cinque Ports an und nahm auf ihm an einer
Expedition in den Pazifik teil. Matrosen waren nun recht raue Gesellen und
allmählich kam es an Bord zu derart heftigen Streitereien, dass Selkirk es
nicht mehr länger aushielt und darum bat auf einer Insel ausgesetzt zu werden.
Diesem Wunsch wurde auch entsprochen. Mit Vorräten ausgestattet ließ man ihn
auf Más a Tierre, eine der Juan-Fernandez-Inseln, vor der
chilenischen Küste zurück. Das war im September 1704. Zu Selkirks eigener Überraschung
gab es auf der Insel viele jagdbare Tier, auch die Gewässer waren fischreich,
so dass er auch nachdem sein Pulver ausgegangen war gut überleben konnte. Im
Februar 1709 erfolgte dann seine „Rettung“. Zurück in Europa fand sich Selkirk
nicht mehr in der Gesellschaft zurecht, galt als schrulliger Sonderling und
verbrachte einen großen Teil seiner Zeit in einer Höhle, in der er bedauerte
seine Insel im Pazifik verlassen zu haben. Zu gerne wäre er zu ihr
zurückgekehrt.
Abenteuergeschichten waren zu Defoe’s Zeiten die großen
Renner in der Literatur. Großbritannien hatte mit dem legendären Sieg über die spanische
Armada 1588 immer mehr die Herrschaft auf den Weltmeeren angetreten und der
Traum vieler junger Männer bestand darin die Welt zu erkunden und mit
unermesslichen Reichtümern in die Heimat zurückzukehren und ein „gemachter
Mann“ zu sein. Kaufleute, Piraten und auch die Krone selbst nahmen diese
Abenteurer gerne auf und boten ihnen Gelegenheit „Karriere“ zu machen. Dass
dabei nur wenige zu Ruhm und Ehre gelangten, ist kein Wunder – doch ihre
Geschichten befeuerten den „Mythos“, der immer eine treibende Kraft für
menschliches Streben bietet. Menschen wollen Helden – auch heute noch - und
Defoe gab ihnen einen solchen – einen mit dem man sich gut identifizieren
konnte, dessen Abenteuer man selbst am liebsten erlebt hätte. In seinem Roman
meistert Robinson alle Schicksalsschläge, alle Probleme werden gelöst und er
besteht souverän alle Herausforderungen. Das war genau nach dem Geschmack der
Zeit. Dementsprechend war auch der Erfolg.
Daniel Defoe

Legenden sind oft nicht einfach nur
schöne Geschichten und basieren nicht selten auf wahren Begebenheiten – sogar
öfters, als man gemeinhin glauben möchte.
Euer Sokrates