Mittwoch, 4. Juni 2014

Die ungezügelten Zungen


xDes Menschen Zunge kann ein wahres Ungeheuer sein, vor allem in stark emotionalisiertem Zustand. Nur allzu leicht gibt einer Preis,was nie über die Lippen hätte kommen sollen. In der Welt der Macht ist Selbstkontrolle und damit auch die Kontrolle der eigenen Worte essentiell. Wie oft verlor ein aufstrebender Hoffnungsträger alles, weil eine einzige falsche Äußerung in die Welt drang?! Auf der anderen Seite machte mancher Karriere, weil er nie seine wahren Gedanken preisgab. Was in der menschlichen Kultur seit jeher galt, gilt in unserer Zeit umso mehr. Zensur herrscht auch bei uns seit eh und je und je mehr die Welt vom Konkreten zum Abstrakten sich wandelt, desto häufiger und wirksamer wurden auch die Täuschungen, denn mit Worten zu täuschen ist ein Leichtes, umso weniger die Taten Beachtung finden - je mehr dem Wort gefolgt wird, weil es mir der Realität verwechselt wird, umso mehr hängen Erfolg und Misserfolg von der Beherrschung der Sprache ab. Dies ist in der Geschichte der Menschheit wohl noch nie so weit gekommen, wie in unserer Zeit. Wer die Sprache beherrscht, für den leben wir in goldenen Zeiten, wer nicht weiß welche Sprache bei seinen Mitmenschen angemessen ist, der findet sich heutzutage auf verlorenem Posten wieder.

I. DAS "OPFER" DER TUGENDHERRSCHAFT
Lange schon war er vielen ein Dorn im Auge gewesen. Streitbar, vor allem im eigenen Printmedium "Zur Zeit" und auf seiner Internetseite, bildete er ein Bollwerk gegen den modernen Mainstream, gegen die "linke Jagdgesellschaft" und gegen den überall um sich greifenden Sittenverfall, so wie er ihn wahrnahm: Andreas Mölzer, langgedientes Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs und Abgeordneter zum Europäischen Parlament. Im Jahr 2014, einige Monate vor der EU-Wahl, die am 25. Mai stattfand, schossen sich die (anderen) Medien auf ihn ein: Mölzer hatte die EU als "Negerkonglomerat" bezeichnet und das in einer öffentlichen Politdiskussion. Plötzlich tauchten Artikel auf, die Mölzer bereits vor Jahren geschrieben hatte, die als fremdenfeindlich und rassistisch dargestellt wurden. So soll Mölzer etwa den österreichischen Nationalspieler schwarzafrikanischer Herkunft, den Fußballer David Alaba, als "kohlrabenschwarzen" Österreicher bezeichnet haben. Nun war das Fass offensichtich zum Überlaufen gebracht worden und nach einer Unterredung Mölzers mit seinem Parteichef Heinz Christian Srache, trat Mölzer als Spitzenkandidat der FPÖ für die EU-Wahl zurück und zog sich sogar aus der Politik ganz zurück, um sich völlig dem Jounalismus zu widmen. Er bezeichnete sich als Opfer, bereute nichts und gab an zum Schutze der Partei zurückzutreten, er selbst habe sich nichts vorzuwerfen.

II. INTERPRETATION
Jede Gesellschaft kennt einen Mainstream, eine "Bahn" mit strickten Grenzen dessen, was als akzeptabel gilt - alles war außerhalb davon liegt wird zensuriert, um den Abtrünnigen zur "Herde" zurückzuführen. Freilich ist dieser Spielraum je nach Gesellschaft größer oder kleiner, jedoch gibt es keine Gesellschaft, die dem einzelnen völlige Freiheit einräumen würde, alles zu meinen und alles zu äußern. Künstler und Personen, die über Macht, Ansehen oder ein gewisses Charisma verfügen, haben dabei einen größeren Spielraum, als der durchschnittliche Bürger, doch auch diese Personen unterliegen noch gewissen Grenzen. Zu glauben man könne sich in der Öffentlichkeit auf jedmögliche Art benehmen, ist naiv. Wer gegen diesen Grundsatz verstößt beweist damit ein Unverständnis der Funktionsweise der menschlichen Gesellschaft oder bloße Sturheit, die in der Regel nichts anderes ist, als eine Form von Arroganz oder Unhöflichkeit. Authentizität ist eine gute Sache aber nur insofern, als sie keine Verletzung der anderen darstellt. Mölzer hatte eindeutig hiergegen verstoßen und mehr als seine Wortwahl ist die Art und Weise wie er seine Aussagen dargestellt hatte negativ aufgefallen. Dies hatte ihn letztlich sein Amt gekostet. In der Politik dienen Worte dazu Taten zu verschleiern oder zu beschönigen, wer Worte dazu verwendet seiner Gereiztheit Luft zu machen, der muss die Konsequenzen dafür tragen.

Wichtig ist hier auch anzumerken, dass nicht so sehr der Inhalt von Worten den Effekt bei anderen aulöst, sondern vielmehr die Art und Weise, wie diese geäußert werden. Eine Aussage wird kaum einmal neutral aufgefasst, sie wird immer in einen Kontext gesetzt und diesen Kontext zu beherrschen ist ein wesentliches Element der Macht. Ebenso sind es nur sieben Prozent (!) der Wirkung von Worten, die sich aus dem Inhalt ergeben, 56 Prozent des Effekts macht die Körpersprache und 37 Prozent der Tonfall, Sprechtempo und dergleichen aus. Wer diese Fakten übersieht, braucht sich über den fehlgeschlagenen Effekt seiner Worte nicht zu wundern. Gerade Intellektuelle neigen dazu den Inhalt überzubewerten und sind überrascht, dass die Menschen scheinbar so ignorant sind und nicht hören wollen.

Zwei weitere Beispiele für öffentliche Äußerungen aus der jüngsten Vergangenheit, die sehr unklug gemacht wurden, waren jene von Angelika Mlinar und Fritz Amann. Mlinar war die Spitzenkandidatin der NEOS für die EU-Wahl 2014 in Österreich. Sie sprach sich offen für die Abschaffung der Bundesländer aus und für die "Vereinigten Staaten von Europa". Wer die Zustimmung zu den Bundesländern in Österreich kennt, vor allem im Westen, konnte sich nur an den Kopf greifen, wie jemand, der um ein politisches Amt kandidiert solches öffentlich äußern konnte. Fritz Amann, der Vizepräsident der Wirtschaftskammer, musste im Mai 2014 zurücktreten nachdem er die vielen Einpersonenunternehmen (EPUs), die einen Großteil der Unternehmen in Österreich ausmachen, als "Tagelöhner" bezeichnete. Er wies damit auf die prekäre finanzielle Situation vieler solcher Unternehmen hin. So recht er in der Sache in vielen Fällen auch hatte, durch seine Wortwahl
und die Verallgemeinerung wurde er zum Bösewicht abgestempelt, denn die Aussage wurde als Beleidigung einer ganzen Berufsgruppe aufgefasst. Noch ist die Gesellschaft und die Menschheit als ganzes nicht reif genug, um dem Individuum so weit zu vertrauen, dass keine seiner Gedanken und Worte mehr eingeschränkt und/oder mit Sanktionen versehen wird. Es bleibt zu hoffen, dass mit einem höheren Reifegrad hier eine größere Gelassenheit eintritt und anstelle des Misstrauens das Vertrauen in das Individuum und seine Fähigkeiten Platz greift.

III. LEHREN
* Denken kann man, was man will, doch in der Öffentlichkeit sollte man wie die Mehrheit, bzw. die anderen, sprechen. Auf dem Marktplatz

benimmt und spricht auch der Weise wie der gewöhnliche Mensch.
* Seine wahre Meinung zu verbergen ist ein Zeichen großer Klugheit.

* Wer seine Zunge nicht zügeln kann, wer seine Gefühle nicht beherrschen kann, wird im Kampf um die Macht nicht den Sieg davontragen, sondern untergehen.

* In der Politik kommt alles darauf an akzeptable Erklärungen für seine Handlungen zu finden, dann kann man fast alles tun.

* In der Politik dienen Worte zur Verschleierung und Tarnung von Maßnahmen. Worte werden für realer gehalten als die Taten. Deshalb funktioniert Politik genau in der Form, wie wir sie in vielen Teilen der Welt heute sehen und erleben.

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