Ein
Sturm bricht los
Was
war das doch für eine Aufregung an der Londoner Börse im Jahre 1720! Nach einem
stürmischen Anstieg des Stars des Wertpapiermarktes der „South Sea Company“,
kam es gegen Ende des Sommers zu massiven Verkäufen und einem unglaublichen Zusammenbruch.
Unzählige verloren alles und waren bald völlig verarmt. Existenzen wurden
vernichtet, Hoffnungen und Lebensträume zunichte gemacht.
Viele
hochrangige Mitglieder der britischen Gesellschaft, allen voran der Adel und
sogar der König, George I, hatte sich hinreißen lassen beträchtliche Summen in
eine Gesellschaft zu investieren, deren Geschäftspraktiken höchst dubios waren.
Nicht einmal das Genie Isaac Newton, der wissenschaftliche Superstar der
damaligen Zeit, konnte sich zurückhalten und hatte sich beträchtlich engagiert.
Auch er verlor im Zusammenbruch einen großen Teil seines Vermögens und bekannt
wurde sein diesbezüglicher Kommentar: „Ich kann die Bewegung eines Körpers
messen aber nicht die menschliche Dummheit.“
Eine
neue Handelsgesellschaft
Die
South Sea Company wurde bereits 1711 von drei Privatpersonen und der britischen
Regierung gegründet. Von Anfang an sollte sie sich insbesondere mit dem
Sklavenhandel beschäftigen und dabei vor allem Südamerika und noch unbekannte
Gebiete bedienen. Seit 1701 tobte der Spanische Erbfolgekrieg und man erhoffte
sich durch einen günstigen Ausgang des Krieges das Sklavenhandelsmonopol
Spaniens zu brechen und sich in der Folge ein beträchtliches Stück dieses
Kuchens abzuschneiden. Die Gesellschaft war also von vorne herein schon auf
einer spekulativen Basis gegründet worden. Tatsächlich zog sich der Krieg noch
bis 1713/14 hin und die erste Fahrt der Gesellschaft konnte überhaupt erst 1717
unternommen werden.
Viel
Fantasie und wenig Fakten
Die
Südsee beflügelte damit den Geist der wohlhabenden Europäer, ebenso wie der
Abenteurer. Wenn man schon nicht selbst in die fernen Gefilde reisen konnte, so
wollte man doch von den versprochenen neuen Handelmöglichkeiten profitieren.
Rohstoffe aller Art, Wunderpflanzen, die in tropischen Gärten wachsen sollten
und nicht zuletzt der Sklavenhandel schienen ungeahnte Chancen zu bieten, die
man sich im Europa nicht entgehen lassen wollte. Und überhaupt: Wenn nicht
Großbritannien zuschlagen würde, dann würden schon die Holländer, die Spanier
und die Franzosen sich den Handel unter den Nagel reißen.
Die
wirklich „großen“ Geschäfte machte die Gesellschaft aber nicht mit
Sklavenhandel, sondern in der Übernahme der britischen Staatschulden in sehr
großer Höhe (gleich zu Beginn bereits 9 Millionen Pfund), wofür sich die
Gesellschaft das Recht erwarb ihr Kapital zu erhöhen (neue Aktien auszugeben).
Sklavenhandel hatte bis dahin überhaupt noch nicht stattgefunden. Dann kam das
Jahr 1720, das Schicksalsjahr der Company. Der Kurs stieg von etwa 100 Pfund
(dem Nennwert) zu Jahresanfang bis auf knapp unter 1000 Pfund im Juli. Eine
zeitlang konnte dieser unrealistisch hohe Kurs gehalten werden, doch die
dunklen Wolken zogen sich bereits am Himmel zusammen. Dividende war noch keine
bezahlt worden und das würde auch in Zukunft nicht geschehen können – doch das
war noch nicht allgemein bekannt. Noch war kein einziger Penny im Südseehandel
verdient worden. Inzwischen warfen die Insider ihre eigenen Anteile auf den
Markt, der sie begierig aufnahm. Auf der Agenda der South Sea Company befanden
sich einige fantasievolle Punkte wie „Import von Walnussbäumen aus Virginia“,
„Verarbeitung von Quecksilber“ oder diverse Versicherungsgeschäfte (unter
anderen konnte man Pferde versichern). Offenbar war man nicht daran interessiert
sich auf ein bestimmtes Geschäftsfeld zu konzentrieren, sondern war bereit
allen möglichen Wirtschafttätigkeiten nachzugehen – damals wie heute war das
selten ein guter Businessplan gewesen.
Dann
erließt das Parlament ein Gesetz (das später „Bubble Act“ genannt wurde, weil
es den Anstoß zur Blase gab), das es Unternehmen verbot außerhalb ihres
ursprünglichen Geschäftsfeldes aktiv zu werden, was vorerst zu einer gewaltigen
Preissteigerung der Aktie der South Sea Company führte (das Gesetz sollte die
Aktie auf hohem Niveau stabilisieren), denn damit hatte die Gesellschaft ein
Monopol im Südseehandel erlangt. Endlich kam der 1. August, der Tag an dem die
erste Dividende bezahlt werden hätte sollen. Alleine, die Gesellschaft konnte nicht
zahlen. Noch blieben die Kurse jedoch hoch. Die „alten Hasen“ begannen nun ihre
Anteile zu verkaufen, ebenso der König (er hatte offenbar gute Berater). Dann
ging es Schlag auf Schlag: Der Kurs crashte, halbierte sich zweimal und stand
zu Weihnachten wieder bei 100 Pfund. Aus war der Traum vom schnellen Geld! –
eine Erfahrung, die Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten machen mussten.
Eine
Ironie der Geschichte ist es, dass der Erzrivale Frankreich gerade (Ende 1719)
seine eigene Spekulationsblase, samt Zusammenbruch, mit seiner
„Mississippi-Companie“ erlebte. Darüber konnte man sich später in England freilich
nicht mehr freuen, auch wenn es anfangs große Kapitalabflüsse von Frankreich
nach England gab und den South Sea Bubble noch weiter entfachte, war es auch
ein Schotte namens John Law, der wesentlich zum französischen Debakel
beigetragen hatte.
Die
Folgen des Debakels
Der
Aufschrei im ganzen Königreich war gewaltig, die Wut über verlorenes Geld
kannte keine Grenzen. Nicht nur der Adel, sondern wesentliche Teile des
Bürgertums (in England gab es bereits eine Mittelschicht) waren massiv
betroffen vom Zusammenbruch der South Sea Company. Man schrie nach Konsequenzen
für die Verantwortlichen und verlangte Genugtuung. Wie immer wenn es ums Geld
geht, kennen Menschen ja bekanntlich keinen Spaß mehr. Tatsächlich wurden
einige der Verantwortlichen der Gesellschaft vor Gericht gestellt, verurteilt
und zu Haftstrafen verurteilt. Andere entledigten sich der Verantwortung durch
Selbstmord oder durch Flucht ins Ausland. Die South Sea Company selbst
überlebte den Zusammenbruch und bestand noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts
weiter, wenn sie auch nie mehr eine wesentliche Bedeutung erlangte. Die Kosten
wurden von der East Indian Company und von der Bank von England getragen.
Damals
wie heute
Man
sieht, die Zeiten haben sich in manchen Bereichen gar nicht so sehr geändert,
wie man glauben möchte. Die Märkte werden noch immer von Angst und Gier
bestimmt und von Zeit zu Zeit erreichen diese derartigen Ausmaße, dass
gewaltige Blasen sich aufbauen, auf die freilich ebenso gewaltige
Zusammenbrüche folgen müssen.
Noch
immer gelten die gleichen Zutaten, die für einen Börsenblase notwendig sind: vorhandenes
Kapital,
euphorische
Stimmung,
etwas
„Neues“ (neue Geschäftsfelder, Technologie, Erfindungen, Entdeckungen etc.)
und
Fantasie (die im Wesentlichen darauf beruht, dass es nicht möglich ist die
Umsätze und Gewinne eines Unternehmen oder einer ganzen Branche realistisch
einzuschätzen, weil es solche noch gar nicht gibt und noch keinerlei Erfahrung
besteht).
Damals
wie heute gilt auch, dass am Ende einer Blase es große Kapitalzuflüsse aus dem
Ausland gibt. Während die heimischen Investoren bereits voll engagiert sind,
kann ein weiterer Kursanstieg nur noch eintreten, wenn zusätzlich ausländisches
Kapital angezapft werden kann. Wenn das der Fall ist, dann sollte man seine
Anteile verkaufen und sich schleunigst von der Börse davon machen. Der
Untergang wird dann nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Auch
ist es typisch, dass man in jedem Börsenboom hört „diese Mal ist es anders“. Es
wir einem weisgemacht die alten Regeln gälten nicht mehr, die Umstände hätten
sich derart geändert, dass die alten Weisheiten nichts mehr taugten, neue
Technologien hätten die Märkte transparenter und effizienter gemacht und
dergleichen. Das war bei allen großen Börsenblasen so gewesen: 1637 in Holland,
1719/20 in Frankreich und England, 1873 in Wien, 1929 und 1987 in New York und
2000/1 und 2008 weltweit.
Heute
wie damals trägt der Staat den Verlust solcher gigantischer Zusammenbrüche.
Darüber kann man sich empören, doch sollte man dabei nicht vergessen, dass es
sich bei den Spekulanten im Wesentlichen nicht um Bösewichte oder Kriminelle
handelt, sondern um ganz normale Menschen mit Schwächen, wie sie der
menschlichen Natur ganz allgemein zueigen sind. Wenn wir ehrlich sind erkennen
wir, dass bis auf wenige Ausnahmen fast alle Menschen wie sie gehandelt haben
würden. Wenn wir in Zukunft klügere wirtschaftliche Entscheidungen, vor allem
von den Führungskräften der Gesellschaft, erwarten wollen, dann dürfen wir uns
nicht am Charakter einzelner orientieren, sondern müssen für ein System sorgen,
das es dem Menschen schwerer macht Dummheiten zu begehen. Dumm zu handeln ist
menschlich, solches können wir an sich nicht verhindern, was wir jedoch tun
können ist an einem System zu arbeiten, dass den Einfluss des einzelnen auf ein
vernünftiges Maß reduziert und den Schaden für das Gemeinwesen möglichst gering
hält. Andernfalls wird auch in Zukunft vor allem die Allgemeinheit weiter für
die enormen Schäden aufkommen müssen.
Euer
Sokrates