Der folgende Dialog
ist ein fiktives philosophisches Gespräch zwischen zwei Diskurspartnern über
die Frage danach, wie es sich mit der menschlichen Willensfreiheit verhält. In
weiterer Folge schließt sich daran die Erörterung über das Problem der
menschlichen Entscheidungsfindung an. Die beiden Gesprächspartner bleiben
anonym, schriftbildlich unterscheiden sich die jeweiligen Aussagen dadurch,
dass jene der zweiten Person kursiv geschrieben werden.
Wir haben bereits in unseren
letzten Diskussionen gesehen, dass die Welt eine Vorstellung im Kopf ist und
sonst nirgendwo, und dass wir nicht die geringste Gewissheit darüber haben
können, ob es denn etwas außerhalb davon gibt, spricht ob die Welt überhaupt
existent ist oder nicht. Jede Annahme in diese Richtung ist also
notwendigerweise ein Sprung aus dem Kopf in eine vermeintliche Welt hinaus. Was
uns heute jedoch beschäftigen soll ist eine andere, wenn auch nicht weniger
wichtige, Frage der Philosophie, nämlich jene nach dem freien Willen.
Ganz recht und ich möchte gleich mit meiner These beginnen, dass wir
einen solchen zweifelsfrei haben. Ich schließe mich ganz der Meinung Sartres
an, der unser Leben wie eine leere Leinwand vor uns liegen sieht, auf die wir
unser Dasein hinaufmalen, wie es uns beliebt. Ich halte es für zutreffend, dass
wir bereits über eine Existenz verfügen, noch bevor wir Eigenschaften haben.
Uns selbst zu erschaffen ist unsere Pflicht.
Nun der deutsche Philosoph
Schopenhauer hätte für solch eine Ansicht nur Spott übrig gehabt, glaubte er
doch, dass der Mensch ein Sklave seines Willens sei und er nicht im Geringsten
auch nur die Möglichkeit besäße zu wollen was er wolle.
Der alte Pessimist! Kein Wunder, dass er für seine Mitmenschen eine sehr
kuriose Gestalt war, gesellschaftlich nur schwer „genießbar“ scheint er dazu noch
gewesen zu sein. Aber was soll das heißen „zu wollen, was er will“? Kann ich
denn nicht wollen, was ich will?
Damit stellte Schopenhauer eine
der berühmtesten und meist diskutierten Fragen der Philosophie und sie wird
heute ebenso nicht wenig gestellt, denn wir verfügen über Daten, die uns bis
vor kurzem nicht zugänglich waren. Bisher haben Denker immer nur das Denken
selbst benutzt, um über das Denken nachzudenken, sie hatten jedoch nie die
Möglichkeit sich das Organ, mit dem wir denken und das uns zu dem macht, wer wir
sind anzusehen. Ich spreche natürlich vom Gehirn.
Ich bin mir nicht so sicher, dass das Gehirn uns zu dem macht, was wir
sind.
Wie soll ich das verstehen?
Nun, das Gehirn mag ja tätig sein, wenn wir denken, aber können wir
deshalb schon davon ausgehen, dass das Denken von ihm erzeugt wird? Könnte es
nicht viel mehr sein, dass die Gehirntätigkeit einfach die materielle
Erscheinung eines an sich immateriellen Vorgangs handelt.
Mein Freund, du sitzt hier einem
alten Irrtum auf. Es scheint mir du hegst die Vorstellung eines Descartes, der
davon ausging, dass Körper und Geist grundsätzlich voneinander getrennt seien,
dass der Geist sozusagen im Körper drin wohne, wie ein Geist in einer Maschine,
der nicht herauskann. Wir wissen aber heute mit Sicherheit, dass des Körpers
Schicksal auch jenes des Geistes ist, die beiden sind miteinander verwoben und
verhalten sich mehr wie zwei Seiten einer Medaille, als wie zwei grundsätzlich
nicht zusammenhängenden Entitäten. Ohne Gehirn ist denken nicht möglich, auch
ein Leben ist ohne es nicht möglich. Und dass das Gehirn uns zu dem macht, was
wir sind, wird inzwischen nicht bestritten. Was wir jedoch sicher wissen, ist
dass das Gehirn das hervorbringt, was wir Ich nennen, eine virtuelle
Konstruktion, die zwar keine Existenz hat, aber doch notwendig für die Selbstorganisation,
das gesunde Bestehen des einzelnen und der sozialen Kommunikation ist. Würde
der Geist sozusagen immaterielle sein und auch als solcher denken, dann hätten
die Gehirnforscher gar nichts zu tun. Sie untersuchten dann lediglich einen materiellen
Abdruck einer an sich immateriellen Sache. Solche Gedanken seinen uns fern, die
Diskussion darüber verlegen wir lieber auf ein andermal. Ich behaupte nun
schlicht, dass es einen freien Willen überhaupt nicht gibt, ja aufgrund der
Funktionsweise des menschlichen Gehirns überhaupt nicht geben kann. Ich führe
das auf überzeugende Untersuchungen der Hirnforschung zurück, die klar gezeigt
hat, dass jeder Vorgang im Gehirn bedingt ist. Wir können uns niemals ohne
Bedingungen sehen, wir leben nicht in einem Vakuum, in dem wir uns die Welt von
außen ansehen könnten, uns Vorstellungen machten und dann ganz frei eine
Entscheidung treffen würden. Die Umstände zwingen uns in jedem Fall, da wir nun
einen und zwar nur einen einzigen Gehirnzustand zu einem bestimmten Zeitpunkt
haben können und dieser Umstand gibt uns keine andere Wahl, als eben einen ganz
spezifischen Willen zu haben. Eine andere Möglichkeit besteht nicht.
Nun gut, es stimmt sicher, dass wir in unserem Leben immer bedingt
sind, dass wir nicht die Freiheit haben, quasi über unserem Leben zu schweben
und unbeeinflusst tun und lassen zu können, was wir wollten, doch mir erscheint
es viel zu eng bemessen zu sagen wir hätten überhaupt keine Wahl.
Ich verstehe, dass du dich
dergestalt fühlst, das ist uns Menschen sehr vertraut, denn wir leben unser
Leben mit dieser Vorstellung. Wir sehen uns die Welt an und erblicken
theoretische Möglichkeiten und es fühlt sich so an, als ob sie uns alle offen
stünden, als ob wir wirklich freie Menschen wären. Das Paradox ist jedoch, dass
eben dies eine Illusion ist, für uns ist vieles denkbar, doch nur wenig machbar
und was den Willen anbelangt, so ist in einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt
keine Wahl vorhanden, sondern es gibt nur einen Zwang zu einer einzigen bestimmten
Sache.
Ich fühle eine freie Wahl, doch dem ist nicht so? Das ist nur schwer zu
glauben und noch schwerer zu akzeptieren. Die Vorstellung mein Leben nicht im
Griff zu haben, und zwar prinzipiell nicht, lässt mich erschaudern!
Und doch führt kein Weg daran
vorbei, dass wir nicht wollen können, was wir wollen.
Kannst du mir zumindest ein Experiment nennen, das deine Ansicht
unterstützt?
Das ist kein Problem. Der
amerikanische Hirnforscher Benjamin Libet hat bereits 1979 ein berühmt
gewordenes Experiment durchgeführt. Dabei wurden drei Dinge gemessen. Erstens
wann ein Mensch sich zu einem bestimmten Willen entschloss, wann das Gehirn
darauf reagierte und letztlich, wann der Mensch dem Willen entsprechend eine
Handlung setzte. Dabei kamen erstaunliche Ergebnisse heraus. Es wäre zu
vermuten gewesen, dass zuerst der Mensch einen bewussten Willen fasst und erst
danach das Gehirn entsprechend reagierte. In Wahrheit verhielt es sich genau
umgekehrt. Das Gehirn hatte bereits, ohne dass der Proband davon wusste (also
unbewusst), „entschieden“ (wenn man beim Unbewussten überhaupt von einer
Entscheidung sprechen kann). Erst mit einer Zeitverzögerung von etwa einer
halben Sekunde reagierten die Versuchspersonen bewusst auf diesen unbewussten
Impuls. Daraus folgt, dass das Gehirn bereits einen Willen gefasst hatte, bevor
das Bewusstsein davon wusste.
Das ist ja unglaublich! Aber wieso glaube ich dann doch, dass der Wille
von mir selbst gekommen ist.
Nun, dass er von dir gekommen
ist, ist durchaus richtig, doch du hast ihn nicht bewusst erzeugt. Dein
Bewusstsein erkennt, was aus dem Unbewussten aufsteigt, meint aber
fälschlicherweise es habe diesen Impuls (Willen oder Gedanken) selbst
hervorgebracht. Das ist die große Illusion, in der sich fast alle Menschen
befinden. Allerdings, man kann einem das nicht vorwerfen, denn dies ist nicht
allgemeines Wissen und es ist vor allem kontraintuitiv. Man sieht daran
übrigens auch, dass die Intuition ebenso irrtumsanfällig ist, wie alles andere
am Menschen (insbesondere für die „Gefühlsmenschen“ ist dies wichtig zu
begreifen). Erst die Gehirnforschung konnte Klarheit in dieser Sache bringen,
alles was bisher getan werden konnte waren Spekulationen und meist hat das
Temperament und die Lebenseinstellung der einzelnen Denker dazu beigetragen,
dass sie sich entweder für den freien Willen oder den Determinismus entschieden
hatten. Wobei freilich Abstufungen bestehen, das darf nicht übersehen werden.
Es erschreckt mich, wie wenig Macht wir über uns selbst haben.
Es ist mit Sicherheit ein Schlag
für das menschliche Ego, denn wenn wir nicht wollen können, was wir wollen,
dann sieht es so aus, als ob wir viel mehr gelebt werden, als dass wir leben.
Wer wollte da denn noch stolz auf seine Leistungen sein? Für einen solchen
Stolz gibt es keine wahre Grundlage. Wenn jemand stolz darauf ist, dass er
reich, erfolgreich, klug oder liebevoll ist, dann ist dies ein lächerliches
Unterfangen, denn nichts davon kann er sich selbst zurechnen lassen. Es war
eben sein Unbewusstes, der wahre Herrscher in uns, wie schon Freud wusste, der
dies alles gemacht hat.
Aber auch Fehlschläge sehen dann nicht mehr so schlimm aus.
Das ist die Kehrseite. Auch das
ist richtig, denn ein Versagen ist ebenso nicht auf mein Bewusstsein
zurückzuführen, auch dies hat das Unbewusste veranlasst. Das nimmt der
Situation etwas von der Schärfe. Dass es deshalb schon zu Glück kommt, ist
jedoch zu bezweifeln und es wäre meiner Meinung nach auch nicht angemessen
solches alleine deshalb schon zu empfinden. Du weiß ja, wie sehr ich es mir zur
Aufgabe gesetzt habe das menschliche Ego zu bekämpfen und klarzumachen, dass
ein solches eine reine Illusion ist, eine Illusion, die unsägliches Leid auf
der Welt verursacht und die Menschen entzweit. Aber dieses Thema ist derart
umfangreich, dass wir einen separaten Dialog dafür anstreben sollten.
Gut, das ist mir auch Recht.
Das ungute Gefühl, dass sich bei
der Gewissheit der Willensunfreiheit einschleicht ist nur schwer zu
besänftigen. Ich habe nicht selten erlebt, dass auf anfänglich heftigen
Widerstand sich allmählich tiefe Resignation eingeschlichen hatte. Man bedenke
die sozialen Folgen, die sich einstellen, wenn diese Wahrheit allgemein
akzeptiert wird.
Ja, das befürchte ich eben auch. Der Gedanken missfällt mir
außerordentlich. - Soll das heißen wir Menschen tragen keine Verantwortung für
unseren Willen?
Genauso ist es! Wir Menschen
können den Willen nicht bewusst kontrollieren und daraus folgt zwangsläufig,
dass wir für ihn keine Verantwortung tragen. Mit der Willensfreiheit fällt
selbstverständlich auch das Einstehenmüssen für den Willen (und zwar für jeden
Willen).
Was folgt denn weiter daraus? Sollen wir alles hinschmeißen?! Sind
Menschen nicht verantwortlich für das was sie tun, dann wäre die logische
Schlussfolgerung daraus, dass wir auch niemanden bestrafen könnten! Sollen wir
nun alle Gefängnisse öffnen und alle Straftäter in die Freiheit entlassen mit
der Begründung sie könnten ja nichts für ihre Taten, sie hätten eben so handeln
müssen und hatten keine andere Wahl?!
Moment, du vermischst hier ein
paar Dinge miteinander. Richtig ist einerseits, dass wirklich kein Mensch für
seinen Willen verantwortlich ist und es ist deshalb auch unsinnig einen
Menschen wegen seiner Gedanken zur Verantwortung zu ziehen. Es ist auch
unsinnig, dass ein Mensch sich schuldig fühlt oder schlimmer noch sich schämt.
Ein psychisch gesunder Mensch empfindet niemals Schuld oder Scham solche Gefühle
sind immer Kennzeichen einer kranken Seele.
Und doch kommen sie doch ständig vor, bei fast allen Menschen.
Richtig, doch das zeigt doch nur,
wie es um den Seelenzustand der Menschen in Wahrheit bestellt ist. Was nun
jedoch deinen Fall mit den Strafgefangenen angeht, so ist zu bemerken, dass
ihnen kein Vorwurf gemacht werden kann für ihre Taten, dass dies jedoch die
juristische Verantwortung an sich noch nicht berührt (freilich wird die Frage
der Schuld im rechtlichen Sinne anders gehandhabt werden müssen). Diese
Menschen haben Fehler gemacht und diese Fehler werden auch Konsequenzen nach
sich ziehen, doch um was es mir hier im Kern geht, ist die Frage der Moral. Wir
können durchaus Werte haben, ohne eine Moral zu haben.
Ich glaube du begibst dich auf sehr dünnes Eis mir deinen Überlegungen.
Die Ansicht ist ungewohnt, das
gebe ich zu, doch wenn wir ein menschenwürdigeres Leben haben wollen, wenn wir
unsere Gesellschaft besser machen wollen, dann ist es notwendig, dass wir die
Unterstellung, dass der Mensch einen freien Willen habe aufgeben. Und was die
Moral anbelangt, so teilt diese immer in eine Gruppe, die man achtet und in
eine, die man ächtet. Menschen werden durch sie getrennt und eine Gruppe
unrechtmäßigerweise auf eine höhere und eine andere auf eine niedrigere Stufe
gestellt. Und darin liegt eine der großen Ursachen für das gesellschaftliche
Übel. Um er kurz zu sagen: Wenn wir damit aufhören Menschen in „gut“ und „böse“
einzuteilen, leben wir erst in der Realität, dann erst können wir zu einer
menschlicheren, friedlicheren Welt beitragen.
Glaubst du die Menschen sind reif solche Einsichten zu haben.
Daran gibt es berechtigte
Zweifel, doch wir haben keine Wahl, das alte Modell von Gut und Böse ist
bankrott, es ist nicht mehr aufrecht zu erhalten und hat sich nachweislich als
großes Hindernis auf dem Weg zu einer guten Welt herausgestellt. In einer
freien demokratischen Gesellschaft sind die autokratischen Mittel der
menschlichen Verhaltenssteuerung nicht mehr zulässig, sie sind selbst
himmelschreiendes Unrecht geworden. Bestrafung ist empörend, Belohnung ist
beleidigend! In einer Gesellschaft, in der alle Menschen gleich sind, wie in
den fortschrittlichsten Kulturen der Welt, ist es unzulässig, dass einer den
anderen bestraft, ebenso, wie dass einer einem anderen eine Auszeichnung
verleiht. Gerade in der Abschaffung der Moral liegt die große Chance für die
Menschheit!
Es ist nicht leicht dir so einfach zuzustimmen, doch wenn ich es mir recht
überlegen, sind es doch gerade die Moralisten, die am meisten das
Zerstörerische auf der Welt bewirkt haben und noch immer bewirken. Moral kann
ja nicht ohne Unmoral existieren, sie bringt das andere unweigerlich mit
hervor.
Genauso ist es. Es sind zwei
Werte, die uns dazu verpflichten diesem Dualismus zu entsagen: Einerseits ist
es die Liebe zur Realität und damit zur Wahrheit und andererseits ist es die
Liebe zum Menschen. Mit beiden ist die Illusion von Gut und Böse nicht
vereinbar.
Gut gesprochen und ehrlich vorgebracht. Ich glaube einen Einwand muss
ich hier noch machen. Wir haben von der Freiheit des Willens gesprochen und
dass es eine solche nicht gäbe. Ich bin nun auch davon überzeugt, dass du damit
Recht hast. Doch kann man vom Willen automatisch auf eine Handlung schließen?
Ist es nicht so, dass wir zuerst etwas wollen und dann doch noch entscheiden
können, ob wir dieses Wollen auch zum Tun machen oder nicht?
Das ist ein nicht unberechtigter
Einwand. Das vorhin bereits erwähnte Experiment von Libet zeigte nämlich noch
eine weitere Sache. Zwischen dem Selbst-Zuschreiben des Willens durch das
Bewusstsein und einer daraus folgenden Handlung, die zum Beispiel in der
Bewegung einer Hand bestand, vergingen noch einmal etwa zwei Zehntelsekunden.
Es gibt tatsächlich noch einen Zeitraum, der beachtenswert ist. Diese
Beobachtung lässt die Möglichkeit zu, dass das Bewusstsein so etwas wie ein
„Veto“ einlegen kann.
Ein Veto, das klingt ja interessant.
Ja, der Wille drängt zur Handlung
und ohne Bewusstsein würde hier eine ungebrochene Kette bestehen, wenn nicht
irgendein äußerer Umstand sie durchbräche. Das Bewusstsein scheint uns
tatsächlich zu befähigen „Nein“ zu sagen zu einem Impuls, der in uns
hochsteigt. Um diese Fähigkeit gebrauchen zu können, müssen wir jedoch ein
entsprechend ausgebildetes Bewusstsein haben und es ist fraglich ob jeder
Mensch über ein solches verfügt. Wahrscheinlich, und dies trifft keinesfalls
nur auf kranke oder psychisch eingeschränkte Personen zu, ist das Bewusstsein
oft nicht derart ausgebildet.
Das wäre dann so eine Art „Beobachtendes Selbst“?
Genau. Und dieser „innere
Beobachter“ gibt uns die Möglichkeit eine Handlung abzubrechen.
Heißt das dann nicht, dass der Mensch doch für seine Taten
verantwortlich ist? Ich meine, es mag ja keinen freien Willen geben, doch was
die Wirkung in der Welt betrifft, so können wir doch zumindest eine schädliche
Handlung durch uns selbst abwehren. Und dadurch wäre die Verantwortung des
Menschen ja wiederum im Spiel. Folglich gibt es zwar keinen Vorwurf für das
Denken aber sehr wohl einen für das Handeln. Und viel mehr fordert unsere
Gesellschaft ja ohnehin bereits heute schon nicht.
Hört sich nicht schlecht an, doch
was ist dieses Bewusstsein? Ich glaube nicht, dass dieses wirklich frei ist,
auch das Bewusstsein ist ein Produkt eines spezifischen Hirnzustandes zu einem
gegebenen Zeitpunkt. Also kann auch dieses uns nicht so etwas wie einen echten
Spielraum geben. Es sind zwar mindestens zwei Vorgänge (sehr vereinfacht
ausgedrückt natürlich) die zwischen Willensimpuls und Handlung stehen, doch
dass der eine determiniert und der andere frei sein soll, dafür gibt es keinen
Beweis. Generell tendieren Gehirnforscher dazu uns keine Freiheit im Gehirn und
damit auch im Leben zuzugestehen.
Können wir unserem Leben nur zuschauen ohne etwas zu tun? Sind wir
reine Beobachter und gar keine aktiv lebenden Wesen? Wie ist es zum Beispiel
mit lernen? Ich bin nicht mehr der gleiche, der ich vor zehn Jahren war und in
zehn Jahren werde ich wiederum ein anderer sein.
Das schließt doch den
Determinismus nicht aus?
Natürlich nicht, doch behaupte ich doch, dass ich mich bis zu einem
gewissen Grad zumindest bewusst weiterentwickelt habe. Ich bin nicht wie ein
Blatt im Wind hin und her getrieben worden, sondern habe bestimmte Dinge
bewusst verfolgt und viele auch erreicht. Ich habe mir etwa bestimmte
Kenntnisse angeeignet, die viel Zeit und Energie erforderten und die nur zu
erreichen waren, weil ich mich permanent auf eine Sache konzentriert hatte. Es
ist doch äußerst unwahrscheinlich, dass ich gerade auf so viele günstige Umstände
gestoßen war, dass dies am Ende herauskommen musste. Wie erklären wir uns denn
die akademischen Erfolge von tausenden Studenten, die wirtschaftlichen Erfolge
von Unternehmern, Olympiasiege von Sportlern, wenn dies alles dem Zufall
zuzuschreiben wäre? Rein nach der Wahrscheinlichkeit des Zufalls, dürften doch
all diese Fälle nicht eintreten?
So gesehen ist das richtig. Doch
ich glaube du missverstehst das Konzept des Zufalls. Wenn man vom Nichts
ausgeht und dann berechnen möchte, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass
etwas Hochkomplexes, wie etwa ein Computer herauskommt, dann ist es tatsächlich
so, dass man davon nicht ernsthaft ausgehen kann. Doch wenn man die
Entwicklungslinien kennt, anhand deren sich Komplexität entwickelt, dann wird
die Sache erklärbar und man braucht keine unendlich kleinen
Wahrscheinlichkeiten mehr anzunehmen.
Dieses Problem sieht so ähnlich aus, wie die Frage nach der Komplexität
in der Welt. Manche Menschen meinen die Welt wäre so wunderbar komplex und so
vieles auf einander perfekt abgestimmt (zum Beispiel die grundlegenden Naturkonstanten),
dass es völlig unwahrscheinlich sei, dass der Zufall das Universum
hervorgebracht habe. Sie schließen deshalb daraus, dass es eine
Schöpfungsintelligenz geben müsse.
Das ist völliger Unsinn, eine
solche Intelligenz gibt es sicherlich nicht. Aber das Problem gleicht dem
unseren hier, darin stimme ich dir zu.
Welche Folgen zieht jedoch gesellschaftlich der Wegfall von Gut und
Böse nach sich? Gibt es da keine Gefahren?
Oh doch und sie sind durchaus
mannigfaltig. Es gibt zwei große Gruppen davon. Erstens ist es der Fatalismus
und zweitens der Nihilismus. Manche meinen, wenn der Mensch sein Leben nicht
steuern könne, dann sei alles bis ins Kleinste vorherbestimmt und wir könnten
uns ohnehin nur dem Schicksal ergeben. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass der
Kosmos an sich nicht vorherbestimmt ist, die Zukunft ist noch nicht
geschrieben. Es gibt deshalb auch keine Prophezeiungen, die funktionieren (wenngleich
Einfältige überall auf der Welt solches glauben) und das ist auch gut so. Wir
wirken alle an der Zukunft mit, es sind unsere Handlungen, die die Umstände
schaffen, zumindest im Bereich der menschlichen Macht, die dazu beitragen. Zwar
haben wir keinen freien Willen, doch wir können sehr wohl daran arbeiten einen
Willen in Zukunft herbeizuführen, damit auch unsere Handlungen und in der Folge
auch unser Schicksal. Der alte Satz von Heraklit (auch Freud hat ihn gerne
benutzt), dass des Menschen Charakter sein Schicksal sei, gilt auch heute noch.
Wir haben nicht die Möglichkeit von einer Sekunde auf die nächste unser
Schicksal zu ändern, doch auf längere Sicht haben wir sie sehr wohl.
Wie darf ich das verstehen?
Unser Leben gleicht einem
Supertanker. Wir fahren mit einer gewissen Geschwindigkeit, sehr träge im Ozean
des Lebens dahin, unsere Gewohnheit und unsere Lebensenergie haben unseren Kurs
bestimmt und halten uns auf „Autopilot“. Wenn wir nichts ändern oder wenn wir
nicht mit einem äußeren Hindernis (wie etwa einer Steilküste oder einem
Eisberg) zusammenstoßen, dann halten wir sowohl die Geschwindigkeit, als auch
die Richtung ewig bei.
Das erinnert mich an Newtons erstes Axiom.
Es gilt auch hier, dass Körper
sich in Ruhe oder gleichförmiger Bewegung befinden, wenn keine Kraft auf sie
einwirkt. Und eben diese Kraft kann auch durch uns selbst kommen. Wenn wir nun
unsere Gedanken ändern, wenn wir die Umstände unseres Lebens ändern (zum
Beispiel durch einen neuen Freundeskreis oder einen anderen Arbeitsplatz), dann
ist das so, als ob wir am Steuerruder des Supertankers gedreht hätten. Nun ist
unsere Leben aber derart träge, dass es wie bei dem großen Schiff längere Zeit
dauert, bis die Kursänderung im Leben spürbar wird und bis es soweit ist hilft
nur Beharrungsvermögen.
Und man braucht den Glauben daran, dass die eigenen Handlungen etwas
bewirken, ansonsten hat man auch kein Beharrungsvermögen.
Sehr richtig. Es ist deshalb
gerade für die Fatalisten wichtig, dass sie sich vor Augen halten, dass sie
Einfluss auf das Leben haben, dass es, wenn auch träge, so doch steuerbar ist.
Wichtig ist dazu, dass wir uns die Optionen, die sich uns bieten, mitsamt den Folgen,
vor Augen halten.
Und die Möglichkeit zu handeln dürfen wir auch nicht vergessen.
Natürlich nicht, dies wäre fatal.
Du siehst also wir sind nur dann Sklaven unseres Willens, wenn wir über einen
Mangel an Bewusstheit verfügen.
Nun gut, da wäre aber noch die Frage des Nihilismus‘.
Die Ansicht, dass alles
bedeutungslos sei, widerspricht unserem Gefühl, nicht unserem Verstand, denn
ein solcher kann bei der Frage der Werte nur assistierend beteiligt sein, nicht
aber entscheidend. Mit der Abschaffung von Gut und Böse, schaffe ich
keinesfalls das Werten oder gar die Werte selbst ab. Wir müssen nicht von Gut
und Böse, sondern von Richtig und Falsch sprechen.
Ist das nicht einfach ein anderes Etikett für dieselbe Sache?
Nein, Gut und Böse bedeuten
Moral, Richtig und Falsch jedoch erhöhen niemanden und erniedrigen auch
niemanden, die entsprechen der wahren Gerechtigkeit, das ist das Entscheidende
– keiner geht des Respekts verlustig. Gerade die Frage der Menschenrechte und
ihrer absoluten Geltung ist nicht diskutabel. Das menschliche Leben als
höchsten Wert festzuschreiben entspricht sowohl der Ratio, als auch dem Affekt.
Das verstehe ich, es ist wie bei den Vernunftsaffekten nach Spinoza.
Aber diese Einsicht hat sich auf der Welt noch nicht umfassend durchgesetzt.
Es wird Aufgabe von Aufklärern
unserer Zeit und auch der Zukunft sein dafür zu sorgen, dass wir es hier mit
echten Werten zu tun haben, die sich von kultur- und zeitgebundenen Werten
abheben und ewige Gültigkeit verlangen können.
Also kein „die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“?
Ein zynischer Spruch, dessen
Ironie nur selten verstanden wird.
Ich fürchte es wird nicht leicht werden eine Welt zu schaffen, in der
es kein Gut und Böse, dagegen ein Richtig und Falsch, ohne Ächtung irgendeines
Menschen in irgendeiner Situation geben wird, eine Gesellschaft, die trotzdem
die ethischste von alle sein soll und Werte besitzt, die sie (bei allem
sonstigen Rechtspositivismus) für absolut schützenswert ansieht und für deren
Einhaltung sie bereit ist jedes Mittel aufzubieten.
Es ist eine Mammutaufgabe! Ein
großes Projekt, das vor mehr als zweihundert Jahren begonnen wurde und in
dessen Tradition große Männer stehen. Wir beide stehen auch in dieser Tradition
und wir wollen die Fackel des Lichts weiter in die Zukunft tragen.
Eine ehrenvolle Aufgabe. – Wie steht’s mit der Toleranz bei dieser
Sache?
Toleranz, nicht Permissivität,
heißt das Schlagwort. Auch verwechsle man Toleranz keinesfalls mit Ignoranz,
die leider in der Praxis nur allzu oft der wahre Hintergrund einer „toleranten“
Haltung ist (neben der Angst Konflikte auszulösen). Und doch wollen wir nicht
so weit gehen Akzeptanz zu fordern, damit griffen wir unzulässigerweise in die
Freiheit des s sein. Toleranz zeigt sich erst dort, wo einer es erduldet, dass
ein anderer etwas sagt, tut, denkt oder fühlt, das er selbst ablehnt, ja
mitunter aus tiefstem Herzen heraus. Denn was wäre das für ein Verdienst zu
„dulden“, was man ohnehin selbst für gut heißt? Nein, tolerieren, heißt eine
Last zu tragen, den Schmerz auf sich zu nehmen, den man dabei empfindet, dass
einer ein Leben führt, das man selbst verabscheut. Dieses Erduldenmüssen des
Ungemachs, kann und muss von einer modernen Gesellschaft von jedem gefordert
werden.
Das lass uns in Angriff nehmen!
Nur zu gerne mein Freund.
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