Sonntag, 21. Juni 2015

Von der Beobachtung und dem nutzlosen Gerede


Allzu viel wird heutzutage geschrieben und noch mehr gesprochen, was keinerlei Wert irgendwelcher Art besitzt und so wie unsere Konsumgesellschaft in wahren Tsunamis an minderwertigen Produkten ersäuft, die überteuert und wohlverpackt an Otto-Normalkonsument gebracht werden, so sieht es auch im geistigen Bereich um nichts besser aus. Wie könnte es auch anders sein! Beginnt die Welt doch im Geiste und gerinnt erst in der Folge an manchen Stellen zur toten Sache, die wir Materie zu nennen pflegen – obwohl es bewiesenermaßen (die Quantenphysik lässt grüßen) überhaupt keine Materie gibt (was den Materialismus ad absurdum führt!).  

 

            Man mag nun einwenden, dass Klatsch und Tratsch doch zu allen Zeiten ein großer Teil der menschlichen Kommunikation ausgemacht hätte und die Sprache zudem in erster Linie ein Mittel der Verständigung, nicht jedoch des Transportes von Inhalten, schon gar nicht von „Wahrheiten“, sei. Zudem meint manch oberflächlicher Geselle, Gerede oder Geschwafel wären ein harmloser Zeitvertreib, etwas das, Menschen tun, um die Langeweile zu vertreiben und irgendwie die Zeit bis zum Tod rüberzubringen.

 

            Oh einfältige Menschheit, wie weit ist es mit dir gekommen, wenn du Solches für zutreffend hältst! Mitnichten sind das Tratschen, das Gerede, das Gerüchteverbreiten und –schmieden von harmloser Natur, ganz im Gegenteil! Seht euch doch die Menschen an, die am stärksten davon befallen sind? Welche Lebensführung und welchen Charakter erkennen wir bei solchen Zeitgenossen? Es sind durchwegs Menschen mit unechten Freundschaften, Scheinbeziehungen und vor allem geringem Respekt in den Augen der anderen, aber, und das ist das schlimmste von allem, auch in den eigenen Augen. Eine Sache ist gewiss: In unserem Universum besteht ein Zusammenhang zwischen den Taten und den Ergebnissen, zwischen Ursache und Wirkung. So ist es auch beim Gerede und Geschreibe. Wer ständig davon Gebrauch macht, der endet unweigerlich bei einer geringen Selbstachtung.

 

            So viel dazu. Doch will ich nun zum zweiten Teil meines heutigen Beitrag kommen, der, wenn auch nicht sogleich offensichtlich, mit dem ersten in Zusammenhang steht: die Kultivierung der Beobachtungsgabe. Das Paradoxon besteht nämlich darin, dass derjenige, der sich die Dinge genau ansieht, der sie reflektiert und daraus seine wohldurchdachten Schlüsse zieht, beinahe immer davor gefeit ist, sich dem bloßen Gerede hinzugeben. Interessanterweise sind es nämlich die Halbgebildeten, die überall in der „gebildeten“ Welt die Mehrheit ausmachen, und ihr unverdautes Halbwissen in die Welt hinaustragen. Der wirklich Gebildete und gewiss der Weise, ist sehr vorsichtig damit sein Wissen anderen mitzuteilen und nur recht selten geschieht es aus eigenem Antrieb heraus, meist veranlassen ihn die Umstände zu so einem Schritt. Nicht so derjenige, der vermeint weise zu sein und in Wahrheit doch nichts als ein Tor ist: diese Gestalten lieben es zu unterrichten, was sie selbst nicht verstanden haben; sie sind von geradezu missionarischem Eifer ergriffen und ihr stärkstes Bestreben ist es bewundert zu werden, Jünger für ihre Ideen und Konzepte zu finden und möglicherweise eines Tages als „große Person“ zu gelten, auf die die Nachwelt mit Hochachtung blicken soll.

 

            Wer sich nun die Mühe macht und wer die tiefe Leidenschaft in sich spürt den Dingen, seien es nun die natürlichen oder die vom Menschen selbst geschaffenen, auf den Grund zu gehen, dessen Urteil ist von ganz anderer Qualität als jenes der Formalgebildeten und Nachplapperer, wie man den Großteil der „Gebildeten“ von heute nennen muss; denn Diplome und Zeugnisse sagen heutzutage beinahe nichts mehr über das Können und Wissen eines Menschen aus – dafür haben jahrzehntelange Schul- und Universitätsreformen weidlich gesorgt. Wo sind die genauen Beobachter der Vergangenheit, wo sind die Naturforschen vom Format eines Alexander von Humboldt heute?

 

            Wie wohltuend war es da für mich, als ich in den letzten Wochen zwei wunderbare Werke in die Hände bekam, die schon lange meiner Bibliothek anvertraut waren, aber mir längere Zeit nicht mehr unter die Augen gekommen sind. Beim ersten Buch handelt es sich um eine Beschreibung der drei Weltreisen des Kapitän James Cook (1728-1779) in den Jahren (1768-1779), mit unzähligen Auszügen aus seinen Logbüchern, wobei besonders die ausführlichen und großartigen Natur- und Menschenbeobachtungen, Beachtung fanden. Das zweite Werk, „Reise um die Welt“, stammte vom großen Naturforschen Georg Forster (1754-1794), der Cook auf seiner zweiten Reise in dem Südpazifik begleitete und hervorragende Beschreibungen, mit einer erstaunlichen Weltoffenheit, Klarheit und Objektivität, lieferte, wie sie von kaum einem anderen Forscher je gezeigt wurden. Die wunderbare Vereinigung von Verstand und Leidenschaft, die nicht antagonistisch, sondern gegenseitig verstärkend und sich vereinigend, einem großen Ziele zustrebend, wirken, vermisst man heute schmerzlich. Dies hat wahrscheinlich auch mit dem Sündefall der Romantik zu tun. Ab damals trennte man bekanntlich Gefühl und Verstand scharf von einander und schlug sich entweder auf die eine oder andere Seite und bekämpfte logischerweise die jeweils andere. Im Wesentlichen ist dieser Dualismus dann auch bis heute so geblieben. Wie glücklich waren da noch die Menschen des 18. Jahrhunderts! Im Sturm und Drang waren das Gefühl und der Verstand noch eins und brachten einmalige Größen hervor, wie etwa der ewigen Großmeister der deutschen Literatur Johann Wolfgang von Goethe.

           

            Von solchen Höhen ist heute nicht mehr viel zu spüren, wir haben den Adel des Geistes hinter uns gelassen und sind in die Niederungen des Bürgertums herabgestiegen. Lange Zeit blieben wir zumindest auf diesem Niveau. Doch durch die Vermassung dessen, was man „Bildung“ zu nennen pflegt, im 20. Jahrhundert, ging es noch weiter nach unten und mit dem 21. Jahrhundert scheint der Bodensatz noch immer nicht erreicht zu sein.

 

           Es ist Zeit zur Besinnung zu kommen! Wir müssen wieder erkennen, wie die Dinge wirklich sind, die Augen aufhalten, um in der Welt der wahren Erscheinungen zu leben und uns nicht mit dem Schein des Gefälligen abzugeben. Wir müssen dazu auch die Scheinwelt des Psychologischen überwinden und eintauchen in die Natur der Dinge, auch in unsere eigene. Doch solange wir die Dinge lieber ordnen, als zu erfahren, solange wir nur soviel von der Welt sehen wollen, dass wir einen Namen für die Dinge habe, werden wir nie zum Kern der Dinge vordringen, werden wir die Welt nicht erleben, sondern nur beschreiben. Wenn wir die Welt intensiv beobachten, eins werden mit ihr, durch einen intuitiven Akt des Verstehens, in Verbindung mit einem geschärften Verstand, dann erst erkennen wir, dass jeder Gebrauch der Sprache gleichnishaft ist und nicht den Dingen selbst entspricht. Beobachten heißt erfahren und nicht Worte für etwas zu finden. Es endet damit auch der neurotische Zwang alles erklären zu müssen, etwa, das so lächerlich ist, dass eine geistig gesunde Natur nur darüber lachen kann. Die Dinge können nicht mehr „kopfgerecht“ gemacht werden und es besteht auch bei keinem gesunden Menschen das Bestreben danach. Wir können dann die Transzendenz der Dinge, und auch von uns selbst, anerkennen und brauchen uns nicht mehr in einem eingeschränkten Gedankengebäude zurechtzufinden, in Worten kramen, wo es solchen im Grunde gar nicht geben kann. Die Welt ist eben mehr, als man in Worte fassen kann! So endet dann endlich auch jede Neurose, die selbst ein Ergebnis der missverstandenen Natur der menschlichen Sprache ist. Dann kann die Menschheit auch wieder damit beginnen mit Worten auszudrücken, anstatt zu bewältigen.

 

            Euer L. Q. Cincinnatus